Go — eine österreichische Angelegenheit?
Die Anfänge des Go in Österreich und Mitteleuropa
Der unermüdliche Go-Publizist Bruno Rüger — er war vor dem 2. Weltkrieg lange Jahre Herausgeber der Deutschen Go-Zeitung — bemerkte einmal, dass das Gospielen vor dem ersten Weltkrieg "eine vorwiegend österreichische Angelegenheit" gewesen sei. Diese Aussage wird in einer Chronik der österreichischen Go-Geschichte von Friedrich Susan (Susan 1987, S. 5) voll Stolz kolportiert, aber trifft sie denn auch zu? Wer kannte denn überhaupt das Go in Europa vor dem ersten Weltkrieg? Welche Möglichkeiten gab es zu dieser Zeit, Go zu erlernen? Der folgende Überblick der österreichischen Go Geschichte zeigt, dass Österreich in der Tat lange zu den führenden westlichen Go-Nationen zählte, wenn auch zumeist überschattet von Deutschland. Nur in der "Glanzzeit" des österreichischen Go um 1970 stellte Österreich für kurze Zeit tatsächlich die Elite der westlichen Go-Welt.
Die Pionierzeit des europäischen Go
Bis ins 19. Jahrhundert findet sich das Spiel zwar in vereinzelten Reiseberichten erwähnt, Versuche, es zu erlernen oder gar in Form eines Lehrbuchs zu verbreiten, lassen sich in Europa aber nicht nachweisen. Die früheste systematische Spielbeschreibung stammt laut Franco Pratesi (Eurogo I, S. 63-67) aus der Feder des berühmten englischen Sinologen Herbert Giles und wurde 1877 unter dem Titel Weichi or the Chinese Game of War veröffentlicht. Hätte dieses Werk eine größere Leserschaft gefunden, wäre Go heute im Westen wohl unter seinem chinesischen Namen Weichi (oder Weiqi) bekannt. Trotz der Begeisterung, mit der Giles das Spiel schildert, blieb ihm im England des 19. Jahrhunderts aber ein breiteres Interesse versagt.
Kurze Zeit später, im Jahr 1880, veröffentlichte der deutsche Chemiker Oskar Korschelt (1853-1940), der als Gastdozent an der Universität Tokyo lehrte, einen umfangreichen Artikel in den Mitteilungen der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens. (Ein Auszug davon kann hier nachgelesen werden.) Der Artikel erschien 1881 auch als eigenständige Publikation unter dem Titel Das japanisch-chinesische Spiel Go, ein Concurrent des Schach. Zweifellos kann man diese Schrift als Initialzündung einer Go-Begeisterung im deutschen Sprachraums ansehen, wie sie anderswo erst später stattfand. Aus heutiger Sicht ist das Werk, obwohl von einem Anfänger verfasst, alles andere als für den Einführungsunterricht geeignet. Wie schon die frühen Go-Spieler feststellten, "fällt ein Mangel an genügenden Erklärungen ins Gewicht, oder diese sind unzureichend" (A. Jonak, 1917). Aus der Sicht des 19. Jahrhunderts war diese Darstellung aber durchaus dazu angetan, Interesse für das Go zu wecken. Wie schon der Untertitel "ein Konkurrent des Schach" andeutet, war Korschelt bemüht, Go als dem Schach gleichwertig zu charakterisieren. Er stieß damit zwar allgemein auf große Skepsis (s.u.), andererseits waren es aber schließlich doch in erster Linie Schachspieler, die sich für Go zu interessieren begannen. Hätte Korschelt nicht von Anfang an versucht, die ganze Komplexität des Spiels zu demonstrieren, wäre dem Spiel womöglich noch länger jegliche Anerkennung versagt geblieben.
Die Saat, die Korschelt gesät hatte, ging zunächst vor allem in Leipziger Schachkreisen auf. Der Leipziger Schachspieler Richard Schurig veröffentlichte bereits ab 1882 mehrere Beschreibungen des Spiels (u.a. Go, das Nationalspiel der Japanesen), die auf Korschelts Werk beruhten, dieses aber in didaktisch einfühlsamerer Weise zu vermitteln suchten. Schurig publizierte seine Beschreibungen in Schachzeitungen und machte das Spiel damit zu mindest theoretisch allen interessierten Schachspielern im deutschen Sprachraum zugänglich.
Die erste Deutsche Go-Zeitung
In den Jahren um die Jahrhundertwende scheinen sich im deutschen Sprachraum verschiedene Go-Zirkel gebildet zu haben, die aber meist nicht von bleibender Dauer waren. Österreichische Spieler waren wohl auch unter den frühen Pionieren, die eingangs angedeutete Prominenz des österreichischen Go lässt sich aber im 19. Jahrhundert nicht nachweisen. Sie tritt erst mit den Aktivitäten eines Grazer Universitätsprofessors in der Spätzeit der Habsburgermonarchie zutage. Leopold Pfaundler (1839-1920), Professor für Physik in Innsbruck und Graz, versuchte zunächst im Jahr 1908, dem Mangel an geeignetem Einführungsmaterial durch Das Chinesisch-Japanische Go-Spiel - eine systematische Darstellung und Anleitung zum Spielen desselben Abhilfe zu schaffen. Bezeichnenderweise wurde Pfaundlers Schrift von einem Leipziger Verlag herausgegeben, was auf die kontinuierliche Go-Tradition in dieser Stadt, in der auch Korschelt nach seiner Rückkehr aus Japan lebte, hindeutet. Pfaundler ging aber noch einen Schritt weiter und veröffentlichte ein Jahr nach seinem Lehrbuch, im Jahr 1909, die erste Deutsche Gozeitung. Obwohl handgeschrieben verfügte diese Go-Zeitung bereits über ein eigenes Logo und war überhaupt sehr sorgfältig aufgemacht. Anfangs erschienen beinahe jeden Monat ein paar Blätter, auf denen zumeist Go-Probleme diskutiert (wenn auch nicht immer richtig gelöst) und Partien abgedruckt waren.
Von größtem historischem Interesse ist die Liste von Abonnenten, die Pfaundler in der ersten Nummer veröffentlichte. Sie umfasst 47 Namen nebst Adressen, sodass man zumindest einen Anhaltspunkt hinsichtlich der Verbreitung von Pfaundlers Go-Zeitung besitzt (s. Grafik). Laut dieser Liste spielten damals neben Pfaundler noch etliche andere österreichische Physiker Go. Auch die berühmte österreichische Physikerin Lise Meitner soll Go gekannt und sogar gemeinsam mit Albert Einstein praktiziert haben (siehe dazu die Erinnerungen des ehemaligen österreichischen Meisters Helmut Wiltschek, der selbst in den 60er Jahren Physik studierte.) Allerdings sind weder Meitner noch Einstein auf Pfaundlers Abonnentenliste vertreten.
Trotz vielversprechender Anfänge stellte Pfaundler ein Jahr nach Gründung der Zeitung bedauernd fest, dass die Anzahl seiner Abonnenten auf 44 zurückgeschrumpft war und stellte die Produktion wieder ein. Offenbar war seine Hoffnung, dem Spiel zu einer raschen Verbreitung zu verhelfen, nicht aufgegangen. Allerdings befand sich unter seinen Lesern auch der bereits erwähnte Bruno Rüger (1886-1972), der bald Pfaundlers Erbe antrat und zu einem der aktivsten deutschen Go-Publizisten wurde. Rüger verfasste zunächst eine Broschüre zur Anleitung des Gospiels, die noch während des Ersten Weltkriegs, 1916, erschien und angeblich in einer Auflage von 10.000 Stück auf den Markt kam. 1920 folgte unter dem Titel Das Go-Spiel ein ausführliches Lehrbuch. Im gleichen Jahr nahm Rüger auch Pfaundlers Gozeitung wieder auf, die sich (mit einigen Unterbrechungen) als Deutsche Go-Zeitung (DGoZ) bis auf den heutigen Tag gehalten hat. Mit seiner publizistischen Tätigkeit hat Bruno Rüger wahrscheinlich am meisten zur Verbreitung des Go in der Zwischenkriegszeit beigetragen. Der Impuls zu seiner Tätigkeit stammte jedoch von Prof. Pfaundler aus Graz, der wohl auch hauptverantwortlich dafür ist, dass das Go-Spielen in Rügers Rückblick einst eine eher "österreichische Angelegenheit" war. Sieht man sich aber den Inhalt von Pfaundlers Zeitung etwas genauer an, kommt man zu dem Schluss, dass das spielerische Engagement und Niveau zu dieser Zeit wohl in Berlin am höchsten war.
Go in Berlin: die beiden Laskers
In Berlin muss es vor dem ersten Weltkrieg vor allem in Schachkreisen zu gelegentlichen Flirts mit dem Go gekommen sein. Auch auf Pfaundlers Liste sind Berliner Go-Spieler zu finden, u.a. zwei Herren mit Namen Lasker. Beide waren exzellente Schachspieler und begannen fast zur gleichen Zeit Go zu studierten, doch waren sie offenbar nicht näher mit einander verwandt. Einer von ihnen (es ist nicht ganz klar, welcher) hinterließ den berühmten Ausspruch:
Wenn es im Universum noch irgendwo intelligente Lebewesen gibt, dann kennen sie vielleicht Schach, höchstwahrscheinlich jedoch Go.*)
Emanuel Lasker (1868-1941) war zu dieser Zeit der regierende Schach-Weltmeister (1897-1921). Nach einer kurzen Phase der Begeisterung für Go (1907-ca. 1909) beteiligte er sich vor allem gegen Ende seiner Schachkarriere in den 20er und 30er Jahren an deutschen Go-Tournieren und konnte sogar den deutschen Meister Felix Dueball das eine oder andere Mal schlagen. Durch die Machtergreifung der Nazis wurde er jedoch zur Emigration gezwungen und verbrachte den Rest seines Lebens im New Yorker Exil.
Der eigentliche Go-Enthusiast war jedoch zunächst nicht Emanuel, sondern Eduard (Edward) Lasker (1885-1981), der das Go laut seinen Memoiren 1905 durch die Lektüre Korschelts und durch eine zurückgelassene japanische Tageszeitung kennenlernte. Zusammen mit Max Lange bildete er einen kleinen Kreis Go-interessierter Schachspieler, der schließlich 1907 durch Emanuel Lasker erweitert wurde. Unter Anleitung eines japanischen Studenten studierten die deutschen Schachmeister gemeinsam das asiatische Spiel. Einmal erhielten sie die Chance, gegen einen japanischen Shodan zu spielen und verloren mit neun Steinen Handicap. Dies scheint den Go-Enthusiasmus des Weltmeisters ein wenig gedämpft zu haben. Die jüngeren Spieler beschlossen hingegen, Go in Japan noch ernsthafter zu studieren. Max Lange gelang es sogar, diesen Vorsatz zu realisieren, er kam allerdings 1923 in Folge des Großen Kanto Erdbebens in Tokyo ums Leben. Eduard Lasker hingegen verschlug es im Ersten WK nach Amerika, wo er lange Zeit der stärkste nicht-asiatische Spieler war und mit ein paar anderen Go-Pionieren die American Go Association gründete. Neben zahlreichen bekannten Schach-Büchern verfasste er 1934 auch ein einflussreiches Go-Lehrbuch in englischer Sprache, Go and Gomoku. Nebenbei gelang ihm die sprichwörtliche amerikanische Traumkarriere vom Tellerwäscher zum Millionär.
*) Im deutschen Sprachraum wird dieses Zitat meist Emanuel zugeschrieben. Im Englischen stößt man dagegen auf ein fast gleichlautendes Zitat, das Edward hinterlassen haben soll: "While the baroque rules of Chess could only have been created by humans, the rules of Go are so elegant, organic, and rigorously logical that if intelligent life forms exist elsewhere in the universe, they almost certainly play Go."
Go in der k.u.k. Kriegsmarine
Dass sich in dieser Zeit überhaupt Go-Spieler in Europa befanden, ist aber nicht nur den publizistischen Aktivitäten einzelner Akademiker oder den Seitensprüngen einzelner Schachspieler, sondern auch dem Despotismus eines Leutnants der kaiserlich-königlichen Kriegsmarine zuzuschreiben. Dieser Offizier namens Artur Jonak von Freyenwald, der auch als "Go-Gott Jonak" bekannt war, scheint das Spiel kurz vor dem Ersten Weltkrieg auf militärischen Expeditionen nach Fernost kennengelernt zu haben. Im Weltkrieg selbst war er im österreichischen Marine-Stützpunkt Pola (heute Pula) auf Istrien stationiert, wo er offenbar genügend Muße fand, das Spiel voranzutreiben. Laut Alfred Nimmerrichter verbot Jonak seinen Offizieren das allseits übliche Schach, um sie stattdessen richtiggehend zum Go-Spielen zu verdonnern. Er ließ sogar japanische Go-Literatur durch einen chinesischen Matrosen übersetzen. Der Chinese weigerte sich zwar anfangs mit dem Hinweis, dass Japanisch und Chinesisch verschiedene Sprachen seien, Jonak ließ diesen Einwand jedoch nicht gelten und setzte den Matrosen solange unter Arrest, bis er tatsächlich eine Übersetzung zustande brachte. Möglicherweise ist das auch der Grund für die zahlreichen Verwirrungen beim Go-Studium, von denen Jonak in seinen Briefen an einen Go-Freund in Wien berichtet. Aus diesen Briefen geht im übrigen auch hervor, dass Jonak sowohl mit Pfaundler als auch mit Rüger in Verbindung stand und für die Zeit nach dem Krieg die Gründung eines deutsch-österreichischen Go-Vereins plante. In den letzten Tagen des Krieges fiel Jonak allerdings einem Unfall zum Opfer, den er selbst mitverschuldet hatte. Er hatte nämlich Soldaten beim Verladen von Sprengminen derart zur Eile angehalten, dass eine der Minen schließlich explodierte und sowohl die Soldaten als auch Jonak selbst in den Tod riss. Damit verlor der Keim des Go in Pola seinen spiritus rector und verdorrte so rasch wie er ausgetrieben war. (Siehe dazu auch Alfred Nimmerrichters Notizen.)
Für das europäische Go war der Starrsinn des Freiherrn Jonak von Freyenwald dennoch insgesamt von erfreulichen Auswirkungen. Unter den jungen Offizieren, die Partner Jonaks gewesen waren, trugen einige zur weiteren Verbreitung des Spiel entscheidend bei: zu ihnen zählte der Korvettenkapitän und spätere Österreichische Meister Carl Fröschl, sein Kollege, Kapitän Hansel und schließlich ein gewisser Kapitän Erwin Fink, ein Slowene, der maßgeblich am Aufbau des Go im späteren Jugoslawien beteiligt war. Die zeitweilig prominente Rolle des jugoslawischen Go scheint daher indirekt auf Jonak zurückzugehen.
In Erwin Finks Worten liest sich die Rolle Artur Jonaks denn auch entschieden freundlicher als in Nimmerrichters Geschichten, die auf den Erzählungen Carl Fröschls basieren. Anlässlich eines Go-Kongresses in Zagreb im Jahr 1974 würdigte Fink seinen ehemaligen Vorgesetzten und Go-Mentor folgendermaßen:
With great will and energy did Jonak strive to acquire new converts to his game, mostly among younger Navy officers. In a short time he attracted a number of enthusiastic go players. They in their turn attracted yet more players, until it became rather like an epidemic. Go was played on board ships, in coffee houses, in Navy clubs etc. Soon go sets with glass stones and a folding board were available in a Pula bookshop. It was Jonak who did most to spread the game, and for his devotion and tireless activity he got the name "Jonak, god of Go". - After Jonak’s death in the war, our go club had no leader anymore. Flames of the "go-fire" in Pula died out and winds scattered the sparks of the glowing fire. There had been more than 200 active go players in our club, and I think it was the strongest, and certainly largest go club in Europe, at least before 1918.
Quelle: British Go Journal No. 55 , 1982
Diese Angaben sind, wenn man sie mit Jonaks Briefen vergleicht, wohl ein wenig übertrieben. Doch auch die Briefe geben einen plastischen Eindruck von Jonaks Go-Besessenheit, wenn man sich vor Augen hält, dass er selbst das Personal der örtlichen Telegraphenstation dazu anhielt, ihn bei der handschriftlichen Kopie von Go-Literatur zu unterstützen. In jedem Fall muss man den Go-Gott Jonak nicht nur als einen der ersten Go-Enthusiasten Österreichs sondern auch als bedeutenden Förderer des europäischen Go ansehen.
Zwischenkriegszeit
Ab den 20er Jahren scheint sich das Zentrum der mitteleuropäischen Go-Aktivitäten, vor allem dank Bruno Rüger, nach Deutschland verschoben zu haben und entfaltete sich auf einmal viel dynamischer als in Alt-Österreich. Über Rügers Go-Zeitung hielt sich die deutschsprachige Go-Szene von Anfang an über Go-Ereignisse in Japan auf dem Laufenden und wurde bald auch von Japan aus wahrgenommen. 1925 besuchte ein japanischer Profi namens Kageyama Deutschland, 1930 wurde der damals stärkste deutsche Spieler, Felix Dueball (1879-1970) von einem japanischen Millionär für ein Jahr nach Japan eingeladen, um sein Spiel voranzutreiben. Die Leserzahl der DGoZ, wuchs in den 30er Jahren auf etwa 100 Abonnenten an, allerdings kamen nur mehr etwa zehn davon aus Österreich.
Es gab darüber hinaus Tourniere, die deutsche und österreichische Spieler gemeinsam organisierten und ein gemeinsames von Rüger entwickeltes Rangsystem, das erst nach und nach von der japanischen Dan-Wertung abgelöst wurde. Nicht nur aus politischen Gründen muss man sich die deutschen und österreichischen Spieler der damaligen Zeit daher als eine einzige, weit verstreute Szene vorstellen. Das Zentrum stellte sicherlich Bruno Rügers DGoZ in Deutschland dar, eine wichtige Rolle für die Verbreitung des deutsch-österreichischen Go spielten aber auch die Dienste des Wiener Realschullehrers und "Sprachgenies" Dr. Eduard Nonnenmacher (1871-1942), der für die DGoZ unermüdlich japanische Go Literatur übersetzte. Spielerisch dominierten Vater Felix und Sohn Fritz Dueball aus Berlin die Szene. Als stärkster Wiener Gospieler der Zwischenkriegszeit etablierte sich der Jonak Schüler Carl Fröschl.
Die Vertreibung und Vernichtung der Juden unter den Nazis führte im Go, wo Juden ebenso wie im Schach überproportional stark vertreten waren, zu Rückschlägen. Laut Franco Pratesi gab es unter dem Nazis aber auch eine offizielle Förderung des Go-Spiels, da Go im Zuge der politischen Allianz mit Japan als völkerverbindend angesehen wurde. Erst der Zweite Weltkrieg brachte die erste Boom-Zeit des europäischen Go im deutschen Sprachraum weitgehend zum Erliegen.
Wiederaufbau
In den ersten Nachkriegsjahren war naturgemäß von Go kaum die Rede, doch schon Anfang der 50er Jahre begann sich die Szene in Wien neu zu formieren. Zu den aktivsten Spielern zählten Carl Fröschl und Friedrich Susan, die noch aus der Vorkriegszeit stammten, aber auch bereits Alfred Nimmerrichter, der sich nicht nur als Spieler, sondern auch als Funktionär und Organisator verdient machte. Dank seiner Mithilfe entwickelte sich das Cafe Bauernfeld im Neunten Wiener Bezirk zu einem beliebten Spielort, wo sich in den 50er Jahren bereits an die 30 Spieler mehrmals wöchentlich einfanden. Damit war Wien zu dieser Zeit nach Berlin wohl eines der größten Zentren des europäischen Go. Nimmerrichter, der im Hauptberuf als Sportjournalist tätig war, entwickelte mit dem Gokurier und der Treppe auch zahlreiche publizistische Aktivitäten zur Verbreitung des Go und fungierte lange Jahre als Präsident des Österreichischen Go Verbandes.
Ab 1953 fand jährlich ein Meisterschaftstournier in Österreich statt, noch ehe es solche Tourniere in anderen europäischen Ländern gab (es folgten die Niederlande ab 1960 und Deutschland ab 1970). Ein offizieller Go-Verband formierte sich aber erst 1957, unter dem Namen Österreichischer Go-Klub. Im gleichen Jahr fand übrigens auch der erste "Europäische Go-Kongress" im deutschen Cuxhaven statt. Das Beiwort "europäisch" wurde wahrscheinlich in der Hoffnung gewählt, auch Spieler außerhalb des deutschen Sprachraums anzulocken, allerdings befanden sich unter 30 Teilnehmern nur zwei Österreicher, ein Niederländer und ein Amerikaner, der Rest – einschließlich des Siegers, Fritz Dueball – kam aus Deutschland. Beim nächsten Europäischen Go-Kongress in Altenmarkt, Niederösterreich, waren naturgemäß mehr Österreicher zugegen, in den folgenden Jahren wuchs die Zahl der nicht-deutschsprachigen Teilnehmer langsam aber kontinuierlich an.
Von japanischer Seite bestand in den 50er und 60er Jahren nach wie vor reges Interesse an der europäisch-deutschen Go-Szene. Dies manifestierte sich u.a. in der Überreichung von Dan-Diplomen. Altmeister Felix Dueball wurde auf diese Weise an seinem 80. Geburtstag zum 5Dan geadelt, in Wien erhielt Susan 1959 immerhin ein 2Dan-Diplom, während Fröschl, Grünauer und Nimmerrichter mit einem Shodan-Diplom ausgezeichnet wurden.
Anfang der 60er Jahre trat mit Wiltschek und Wimmer eine neue Spielergeneration auf den Plan. Wimmer, der das Go in seiner Kärntner Gymnasialzeit offenbar im Selbststudium erlernte und kaum Kontakt mit der Wiener Szene hatte, wurde 1963 österreichischer Meister und 1969 zum ersten Mal Europa-Meister. Er leitete damit die eigentliche Blütezeit des österreichischen Go ein, die von Ernst Novak und Helmut Hasibeder weitergeführt wurde. Doch schon in den 60er Jahren traten unter Spitzenspielern und Funktionären Spannungen auf, deren Hintergründe mir bis heute ebenso undurchsichtig wie lächerlich und uninteressant erscheinen. Sie führten Ende der 70er Jahre zu einer Spaltung der Szene, die schließlich in einem Gerichtsprozess kulminierte, von dem nur die Anwälte profitierten.
In den 80er Jahren bewirkte die gespannte Atmosphäre einen vorerst langsamen aber stetigen Schrumpfungsprozess innerhalb der österreichischen Go-Szene, der bis über die Jahrtausendwende hinweg anhielt (s. Hall of Fame, Hall of Shame). Erst in den letzten Jahren hat wieder eine neue Begeisterung und damit auch ein neuer Zuwachs im österreichischen Go eingesetzt.
Pok, 2003-2009
letzte Ergänzungen Jan. 2009