Pok's Go Space

Die Jonak-Briefe

Fundstücke der österreichischen Go-Geschichte (II)

Der Marineleutnant Artur Jonak von Freyenwald (1880-1918), der auch als "Go-Gott Jonak" berühmt-berüchtigt ist, war wohl einer der ersten Go-besessenen Österreicher. Seinem Go-Freund Ervin Fink zufolge lernte er das Spiel 1914 kennen, als er auf dem Kreuzer "Kaiserin Elisabeth" in der chinesischen Hafenstadt Tsingtau (Qingdao) stationiert war. Tsingtau war zu diesem Zeitpunkt deutsche Kolonie, wurde Ende 1914 aber von Japanern und Engländern erobert. Jonak diente daraufhin auf dem Linienschiff "Chamäleon", das im k.u.k. Kriegshafen Pola (Istrien) stationiert war. Offenbar war dort vom Weltkrieg nicht allzu viel zu verspüren. Jedenfalls baute Jonak in Pola den damals größten Go-Zirkel Europas auf.

Eine Korrespondenz Jonaks mit einem unbekannten "Kameraden" zeugt von der Begeisterung aber auch von den erstaunlichen Verwirrungen, mit der die Go-Pioniere der damaligen Zeit dem fernöstlichen Spiel entgegentraten. So war sich Jonak keinesfalls im Klaren, ob die Höhe eines Sieges unterschiedlich zu bewerten ist oder ob jeder Sieg im Go gleich zählt. Dennoch plante er, "nach dem Kriege" einen deutsch-österreichischen Go-Verein ins Leben zu rufen und/oder selbst ein Go-Buch zu verfassen. Er starb allerdings in den letzten Kriegstagen.

Brief 1 (28.8.1917) || Brief 2 (15.9.1917) || Brief 3 (19.11.1917)

Die Originale der Briefe befinden sich im Besitz von Alfred Nimmerrichter, der mir freundlicherweise eine Kopie überließ. Da das meiste in Kurrent geschrieben ist, gibt es ein paar Stellen, die ich nicht entziffern konnte. Sie sind durch [...] gekennzeichnet.

Brief 1

am 28. August 1917

Hochverehrter Herr Kamerad!

Wie Du bereits wissen dürftest, lernte ich flüchtig Deinen ehemaligen Batterieoffizier, Leutnant Erich Mayer kennen und erfuhr durch ihn endlich Deine Adresse. Wenn ich mich nun als begeisterten Go-Spieler vorstelle, so wirst Du selbst wissen, was für Wünsche, Gedanken und Hoffnungen ich in mir bewahre. Man möchte alles, was über diesen Stoff vorhanden ist, verschlingen.

Doch hier ist bereits der erste Hemmschuh. Seit anderthalb Jahren hat sich hier in Pola eine kleine Go-Gemeinde gebildet und es besteht die Hoffnung auf deren Fortbestand und Verbreitung. Pfaundler’s Buch dient als Grundlage, doch sah man schon nach einigen Monaten, daß dies für ein wirkliches Fortschreiten im Spiele gar nichts bietet, so sehr auch das Verdienst des Herrn Professors, eine genaue Vorstellung der Spielgesetze gegeben zu haben, hervorgehoben werden muß.

So wandten wir uns denn an die Universitätsbibliothek zu Wien und erhielten ein Exemplar des "Korschelt", das wir mit viel Mühe in 5 Stunden abschrieben. Das war freilich ein großer Sprung vorwärts. Aber auch dieses Buch hat seine Fehler. Grundsätzlich fällt ein Mangel an genügenden Erklärungen ins Gewicht, oder diese sind unzureichend. Beim Studium würde man zu viel Zeit verlieren und ein Fortschreiten wäre in allzu weite Ferne gerückt. Ich habe ja schon einiges gearbeitet, die Eröffnungen Murase's in Gruppen geteilt und aus ihnen sowie aus den Partieen die typischen Einzelspiele gesammelt, um so eine gewisse Übersicht und einen Grundstock zu schaffen, aber die Sache fängt mir an, über den Kopf zu wachsen. Da war nun das Naheliegen, sich an andere Gospieler zu wenden mit dem Motto: "viribus unitis".

Ich schrieb also Herrn Proffessor Pfaundler, der auch die Liebenswürdigkeit hatte, mir die letzte eingegangene Gozeitung zuzusenden. Aus dieser ersah ich nun, daß bereits ein Go-Buch existiert, ganz in dem Sinne wie ich es mir gedacht habe, das nämlich unter anderem auch eine Sammlung von oft vorkommenden Einzelspielen enthält. Es ist das Buch: Neue Gospiel-Geheimnisse von Djunichi-Karigane, gesammelt von Yoshijiro Yano.(*) Leider ist es nicht übersetzt auch weiß ich die jetzige Adresse des Besitzers, Dr. Max Lange, nicht.

Kannst du mir in dieser Hinsicht vielleicht Auskunft erteilen? Leutnant Mayer erzählte mir auch von einem 4 bändigem Go-Werke in deutscher Sprache, in welchem unter anderem 60 Meisterpartieen enthalten sind, das in Deinem Besitz sich befindet. Ich verstehe vollkommen, daß das Werk als Unikum nicht hergeliehen werden kann, doch wage ich die Bitte, mir mitzuteilen, ob gegen Bezahlung eines Schreibers nicht einiges für uns abgeschrieben werden könnte. Ich weiß leider den Inhalt nicht einmal.

Mein Feldzugsplan zur raschen Erlernung des Gospieles und dessen Pflege wäre: Gründung eines deutsch-österreichischen Go-Vereins nach dem Kriege, dessen Organ eine Go-Zeitung wäre, die von einem bezahlten japanischen Meister redigiert wird. Diese hätte zu bringen: Alle verfügbaren alten und neuen Eröffnungen mit guter Erläuterung. Einzelspiele aus dem von mir zitierten Buche, alle Grundspiele des Werkes von Inouye Inseki XI, Probleme und Meisterpartieen. Wächst der Verein und sind genug Mittel vorhanden, so könnte ein oder das andere Werk auch übersetzt und vervielfältigt werden. Meiner Meinung nach könnte man sich aber auch schon jetzt zusammentun und Einzelnes im besprochenen Sinne leisten. Vielleicht nimmst du in gefälliger Weise noch einmal die Stelle des Obmanns des Vereins an?

Ich bitte nun, um der guten Sache willen, mir meine Dreistigkeit zu verzeihen und mir zu gestatten, hie und da eine Auskunft zu verlangen. Auch würde ich sehr zu Dank verpflichtet sein, wenn du die Liebenswürdigkeit hättest, beiliegenden Fragebogen schlagwörtlich auszufüllen. Anbei erlaube ich mir eine Studie über Fachausdrücke des Gospiels zu übersenden und bitte, diese im Falle sie geeignet erscheint, unter bekannten Gospielern herumreichen zu lassen. Ich sandte ein gleiches Exemplar, aber etwas unvollkommener an Herrn Proffessor Pfaundler.

Die Papierhandlung „Schrimek“(?) hier in Pola verkauft schöne eingelegte Gobretter (allerdings quadratisches Format, was aber nichts zur Sache tut) mit Steinen aus weißem und schwarzem Glase. Allerdings beträgt der Gesamtpreis jetzt im Kriege ca. 70 Kr!

Indem ich nochmals im Vorhinein für eine gütige Auskunft meinen verbindlichsten Dank ausspreche, verbleibe ich mit den besten Grüßen

Dein ergebener

Artur Jonak von Freyenwald
kuk. Linienschiffsleutnant
S.M.S. „Chamäleon“
Marine-Feldpost Pola.

Fragebogen

  1. Wie ist das Verhältnis der Vorgabe in Bezug auf die Spielstärke? Es könnte sein, daß z.B. ein Spieler, der im Durchschnitt 25 Punkte gewinnt, dem anderen 2 Punkte vorgibt, bei einem Durchschnittsgewinn von 35-40, 3 Steine, etc. [...]
  2. Wie ist das Gewinn Verhältnis der Vorgabe zwischen den Meistern 1. bis 9. Ranges? Ich weiß nur, daß ein Meister 7. Ranges einem Meister 8. Ranges 3 Steine, ein Meister achten Ranges einem M. 2. Ranges 2 Steine vorgibt.
  3. Wie werden die einzelnen Vorgabesteine der Reihenfolge nach aufgesetzt?
    2: diagonal
    3: erster Eckpunkt
    5: noch ein Zwischenpunkt
    ...
  4. Bei einen Wettspiele wurde von mir folgende Zählweise eingeführt:
    Verlorene Partie: 0 Punkte.
    Unentschieden:   20  "  für beide Spieler.
    Gewonnen:        40  "
    Jeder gewonnene Punkt bis inkl. 10: 5 Punkte
      "    "    "         von 11-15: 3  "
      "    "    "      "      16-20: 1  "
    [...]
    Daher: Gewonnene Maximalpartie: 11o
          "          Minimal  "   : 45
    Findet dies Ihre Zustimmung? Die Spielstärke wurde hiebei durch Vorgabe ausgeglichen.

Ich bin nicht sicher, ob die Güte eines Spiels von der größe des Sieges abhängt, denn die Hauptsache ist doch der Gewinn, ob er 2 oder 10 Punkte beträgt. Ich stelle mir vor, dass nämlich jeder Spieler einen großen Verlust vermeiden kann, indem er zunächst symmetrisch spielt und erst im entscheidenden Moment (wenn der Gegner dies in der Mitte ausnützen will) davon abgeht. Er [...] könnte dadurch erreichen, daß er anstatt mit 70 Punkten nur mit 10 Punkten verliert. Es wäre dies dann ein Beweis, daß die Höhe des Sieges nicht maßgeblich ist, wenigstens nicht allein.

  1. In der Go-Zeitung, die Prof. Pfaundler mir vor Wochen sandte, las ich, daß die Vorgabe immer um eine Einheit geändert werde, wenn ein Spieler vier Partieen mehr gewonnen hat, als der Gegner. Dies wäre einleuchtend, wenn z.B. das Verhältnis 6 zu 10 ist, wäre aber ungerecht beim Verhältnisse 56 zu 60. Also wo ist da die Grenze? [...]

Ist der Anziehende bei gleicher Spielstärke für die Dauer der ganzen Partie um einige Punkte im Vorteil?

*) jap. Tora no Maki, eine reichhaltige Sammlung von kommentierten Partien, erschienen 1911.

Brief 2

am 15 September 1917

Hochverehrter Herr Kamerad!

Für Dein liebenswürdiges Schreiben sage ich besten Dank, ebenso für das freundliche Anbieten, mir das genannte Werk zu leihen. Ich werde es in meiner Nachbarschaft, bei einem Go-Partner, der auf der "Tegetthoff" eingeschifft ist, aufbewahren u. zw. unter dem Hangar(?)deck in einer Kasette. Da ist es bombensicher.

Anbei sende ich eine Liste von Go Spielern, doch wirst Du ja selbst aus Erfahrung wissen, daß die Beteiligung schwankend ist. Neue finden sich, andere fallen wieder ab. Das Spiel ist eben noch zu jung und es bedarf einer fortgesetzten Propaganda um seine Verbreitung zu fördern. Vor allem fehlt eben ein größeres ausführliches Werk, wie z.B. das in der ...bibliothek von [...]. Wenn ich das nötige Material hätte, würde ich schon versuchen, so ein Buch zusammenzustellen.

Ein ...oberleutnant Knut(?), nach dem Kriege wieder Ingeneur in Budapest, hat ebenfalls den Korschelt abgeschrieben und wird das Spiel im dortigen Schachklub vorlegen. Aber gute Schachspieler sind meistens nicht geneigt sich in ein zweites schweres Spiel zu vertiefen, sie haben mit dem einen schon genug. Dazu kommt noch das Vorurteil, denn es ist merkwürdig, wie viele Leute auf die Erklärung, es gäbe noch ein zweites, dem Schach ebenbürtiges Spiel, einfach entgegnen: "das ist ausgeschlossen", ohne überhaupt zu wissen, um was es sich handelt. Vorläufig ist die Verbreitung des Korschelt die einzige Metode, sich ernste Go-Spieler zu erziehen. Von der Ankunft des Werkes werde ich Dich selbstverständlich sofort verständigen. Es ist sehr schade, daß wir uns in absehbarer Zeit nicht treffen können, denn ich habe meine Familie seit Sommer in Salzburg. Ich wäre schon sehr neugierig einmal andere Spieler kennen zu lernen als die in Pola. Ich muß demnächst Herrn Dr. Max Lange schreiben, es würde mich ungemein interessieren, wie ein japanischer Meister alle besseren europäischen Spieler mit 9 Vorgabesteinen schlägt. Schade daß Korschelt nicht eine Partie veröffentlicht hat, wo ihm Murase Shuho 7 Steine vorgibt!

Ich verbleibe mit bestem Gruße, zu Gegendiensten bereit,

Dein stets ergebener

Artur Jonak

Brief 3

am 19 November 1917

Sehr geehrter Herr Kamerad!

Die Abschriften der beiden Werke liegen nun, bereits eingebunden, vor mir. Es war ein hartes Stück Arbeit und wenn ich nicht auch die Radiotelegraphisten zum Übertragen und Abschreiben eingespannt hätte, wäre ich noch nicht fertig. Ich fand einen Unteroffizier, der so weit japanisch kann, dass er mir mit Hilfe eines umfangreichen Lexikons die chinesischen Charaktere entziffern konnte. Daher weiß ich auch, daß das eine Werk: "Honimbo Jowa (siehe Korschelt Geschichte des Spieles), eine Darstellung dieser leuchtenden Kunst des Landes" (*) ist. Die Partieen sind im Zeitraum von 1809-1824 gespielt. Sie sind natürlich sehr interessant und bieten eine Fülle von charakteristischen Beispielen.

Das zweite Werk übersetzten wir mit: Klassische Aufgaben des Go-Spieles. Übersetzt wurden nur die Aufschriften der Partieen (die Namen der Meister) und einige Kleinigkeiten. Vorwort und bei den Aufgaben die umfangreichen Anmerkungen konnten nicht zustande gebracht werden. Da ich die Sache noch nicht durchstudiert habe, weiß ich auch nicht bei allen diesen Schlußbeispielen, um was es sich handelt. Obwohl nun einzelne Anmerkungen bei Ko's etc. nicht entziffert wurden konnte ich doch alle Partieen fehlerfrei herausbekommen und mache mich selbstverständlich erbötig, Dir gelegentlich die Precepte(?) zu senden, falls Du dies wünschen solltest, denn ich schloß aus verschiedenen Anzeichen, daß das Werk Jowa's noch nicht zur Gänze übertragen wurde. Bei einer Anzahl von Partieen steht die Anmerkung: Name ... "in die Mitte ziehen - gewonnen." Ich nehme an, das soll heißen: "Gewinnt das Spiel dadurch daß er es in die Mitte zu ziehen vermochte." Die genaue Bedeutung ist mir nun nicht klar.(**)

Vielleicht kann ich im Jänner nach Wien kommen, dann werde ich Dich aufsuchen und man kann sich besser verständigen als brieflich, was für Detailbesprechungen in der Tat sehr zeitraubend ist. In der Miniaturbibliothek erschien soeben ein kleines Gobüchlein, das als Werbebuch für Anfänger gedacht ist. Mit dem Verfasser, Herrn Bruno Rüger aus Dresden bin ich in Korrespondenz. Er wird mir auch einiges verfügbares Material leihen. Unter anderem wird er mir eine Partie von einem Meister schicken, der einem anderen Spieler 6 Steine vorgiebt. Wenn Du gelegentlich einmal Zeit findest, bitte ich Dich, mir zu schreiben, ob Du auch über Material aus neuerer Zeit verfügst. Zu jedem Gegendienst bin ich gern bereit!

Indem ich Dir nochmals meinen innigsten Dank für das bewiesene Entgegenkommen ausspreche, verbleibe ich mit den besten Grüßen Dein stets ergebener

Artur v. Jonak

 

  *) jap. Kokugi Kankô, eine Partiensammlung von Honinbo Jôwa, erschienen 1826.
**) jap. chûoshi 中押し; tatsächlich bedeutet die Redewendung schlicht: "gewinnt durch Aufgabe".