am 28. August 1917
Hochverehrter Herr Kamerad!
Wie Du bereits wissen dürftest, lernte ich flüchtig Deinen
ehemaligen Batterieoffizier, Leutnant Erich Mayer kennen und erfuhr durch
ihn endlich Deine Adresse. Wenn ich mich nun als begeisterten Go-Spieler
vorstelle, so wirst Du selbst wissen, was für Wünsche, Gedanken
und Hoffnungen ich in mir bewahre. Man möchte alles, was über
diesen Stoff vorhanden ist, verschlingen.
Doch hier ist bereits der erste Hemmschuh. Seit anderthalb Jahren hat
sich hier in Pola eine kleine Go-Gemeinde gebildet und es besteht die
Hoffnung auf deren Fortbestand und Verbreitung. Pfaundler’s Buch
dient als Grundlage, doch sah man schon nach einigen Monaten, daß dies
für ein wirkliches Fortschreiten im Spiele gar nichts bietet,
so sehr auch das Verdienst des Herrn Professors, eine genaue Vorstellung
der Spielgesetze gegeben zu haben, hervorgehoben werden muß.
So wandten wir uns denn an die Universitätsbibliothek zu Wien und
erhielten ein Exemplar des "Korschelt", das wir mit viel Mühe
in 5 Stunden abschrieben. Das war freilich ein großer Sprung vorwärts.
Aber auch dieses Buch hat seine Fehler. Grundsätzlich fällt
ein Mangel an genügenden Erklärungen ins Gewicht, oder diese
sind unzureichend. Beim Studium würde man zu viel Zeit verlieren
und ein Fortschreiten wäre in allzu weite Ferne gerückt. Ich
habe ja schon einiges gearbeitet, die Eröffnungen Murase's in Gruppen
geteilt und aus ihnen sowie aus den Partieen die typischen Einzelspiele
gesammelt, um so eine gewisse Übersicht und einen Grundstock zu
schaffen, aber die Sache fängt mir an, über den Kopf zu wachsen.
Da war nun das Naheliegen, sich an andere Gospieler zu wenden mit dem
Motto: "viribus unitis".
Ich schrieb also Herrn Proffessor Pfaundler, der auch die Liebenswürdigkeit
hatte, mir die letzte eingegangene Gozeitung zuzusenden. Aus dieser ersah
ich nun, daß bereits ein Go-Buch existiert, ganz in dem Sinne wie
ich es mir gedacht habe, das nämlich unter anderem auch eine Sammlung
von oft vorkommenden Einzelspielen enthält. Es ist das Buch: Neue
Gospiel-Geheimnisse von Djunichi-Karigane, gesammelt von Yoshijiro Yano.(*)
Leider ist es nicht übersetzt auch weiß ich die jetzige Adresse
des Besitzers, Dr. Max Lange, nicht.
Kannst du mir in dieser Hinsicht vielleicht Auskunft erteilen? Leutnant
Mayer erzählte mir auch von einem 4 bändigem Go-Werke in
deutscher Sprache, in welchem unter anderem 60 Meisterpartieen enthalten
sind, das in Deinem Besitz sich befindet. Ich verstehe vollkommen,
daß das Werk als Unikum nicht hergeliehen werden kann, doch wage
ich die Bitte, mir mitzuteilen, ob gegen Bezahlung eines Schreibers
nicht einiges für uns abgeschrieben werden könnte. Ich weiß leider
den Inhalt nicht einmal.
Mein Feldzugsplan zur raschen Erlernung des Gospieles und dessen Pflege
wäre: Gründung eines deutsch-österreichischen Go-Vereins
nach dem Kriege, dessen Organ eine Go-Zeitung wäre, die von einem
bezahlten japanischen Meister redigiert wird. Diese hätte zu bringen:
Alle verfügbaren alten und neuen Eröffnungen mit guter Erläuterung.
Einzelspiele aus dem von mir zitierten Buche, alle Grundspiele des
Werkes von Inouye Inseki XI, Probleme und Meisterpartieen. Wächst
der Verein und sind genug Mittel vorhanden, so könnte ein oder
das andere Werk auch übersetzt und vervielfältigt werden.
Meiner Meinung nach könnte man sich aber auch schon jetzt zusammentun
und Einzelnes im besprochenen Sinne leisten. Vielleicht nimmst du in
gefälliger Weise noch einmal die Stelle des Obmanns des Vereins
an?
Ich bitte nun, um der guten Sache willen, mir meine Dreistigkeit zu verzeihen
und mir zu gestatten, hie und da eine Auskunft zu verlangen. Auch würde
ich sehr zu Dank verpflichtet sein, wenn du die Liebenswürdigkeit
hättest, beiliegenden Fragebogen schlagwörtlich auszufüllen.
Anbei erlaube ich mir eine Studie über Fachausdrücke des
Gospiels zu übersenden und bitte, diese im Falle sie geeignet
erscheint, unter bekannten Gospielern herumreichen zu lassen. Ich sandte
ein gleiches Exemplar, aber etwas unvollkommener an Herrn Proffessor
Pfaundler.
Die Papierhandlung „Schrimek“(?) hier in Pola verkauft schöne
eingelegte Gobretter (allerdings quadratisches Format, was aber nichts
zur Sache tut) mit Steinen aus weißem und schwarzem Glase. Allerdings
beträgt der Gesamtpreis jetzt im Kriege ca. 70 Kr!
Indem ich nochmals im Vorhinein für eine gütige Auskunft meinen
verbindlichsten Dank ausspreche, verbleibe ich mit den besten Grüßen
Dein ergebener
Artur Jonak von Freyenwald
kuk. Linienschiffsleutnant
S.M.S. „Chamäleon“
Marine-Feldpost Pola.
Fragebogen
- Wie ist das Verhältnis der Vorgabe in Bezug auf die Spielstärke?
Es könnte sein, daß z.B. ein Spieler, der im Durchschnitt 25
Punkte gewinnt, dem anderen 2 Punkte vorgibt, bei einem Durchschnittsgewinn
von 35-40, 3 Steine, etc. [...]
- Wie ist das Gewinn Verhältnis der Vorgabe zwischen den Meistern
1. bis 9. Ranges? Ich weiß nur, daß ein Meister 7. Ranges
einem Meister 8. Ranges 3 Steine, ein Meister achten Ranges einem M.
2. Ranges 2 Steine vorgibt.
- Wie werden die einzelnen Vorgabesteine der Reihenfolge nach aufgesetzt?
2: diagonal
3: erster Eckpunkt
5: noch ein Zwischenpunkt
...
- Bei einen Wettspiele wurde von mir folgende Zählweise eingeführt:
Verlorene Partie: 0 Punkte.
Unentschieden: 20 " für beide Spieler.
Gewonnen: 40 "
Jeder gewonnene Punkt bis inkl. 10: 5 Punkte
" " " von
11-15: 3 "
" " " " 16-20:
1 "
[...]
Daher: Gewonnene Maximalpartie: 11o
" Minimal " :
45
Findet dies Ihre Zustimmung? Die Spielstärke wurde hiebei durch
Vorgabe ausgeglichen.
Ich bin nicht sicher, ob die Güte eines Spiels von der größe
des Sieges abhängt, denn die Hauptsache ist doch der Gewinn, ob
er 2 oder 10 Punkte beträgt. Ich stelle mir vor, dass nämlich
jeder Spieler einen großen Verlust vermeiden kann, indem er zunächst
symmetrisch spielt und erst im entscheidenden Moment (wenn der Gegner
dies in der Mitte ausnützen will) davon abgeht. Er [...] könnte
dadurch erreichen, daß er anstatt mit 70 Punkten nur mit 10 Punkten
verliert. Es wäre dies dann ein Beweis, daß die Höhe
des Sieges nicht maßgeblich ist, wenigstens nicht allein.
- In der Go-Zeitung, die Prof. Pfaundler mir vor Wochen sandte, las ich,
daß die Vorgabe immer um eine Einheit geändert werde,
wenn ein Spieler vier Partieen mehr gewonnen hat, als der Gegner.
Dies wäre einleuchtend, wenn z.B. das Verhältnis 6 zu 10
ist, wäre aber ungerecht beim Verhältnisse 56 zu 60. Also
wo ist da die Grenze? [...]
Ist der Anziehende bei gleicher Spielstärke für die Dauer der
ganzen Partie um einige Punkte im Vorteil?