Pok's Go Space

Hall of Fame — Hall of Shame

Was läuft falsch im österreichischen Go?

Ob man es glaubt oder nicht, Österreich war bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts eine der führenden Go-Nationen außerhalb Asiens. Das hat im wesentlichen historische Gründe, auf die ich in meinem Artikel über die Anfänge des europäischen Go näher eingehe: Österreich ist zusammen mit Deutschland das älteste Go-Land in Mitteleuropa, möglicherweise sogar außerhalb von Asien. Nach dem 2. WK war Österreich eines der ersten Länder, in denen sich nationale Verbände und Meisterschaften etablierten. Die österreichische Go-Staatsmeisterschaft gibt es immerhin bereits seit 1953. Österreich war bisher sechs mal Austragungsort der Go Europameisterschaft und brachte in den Anfangsjahren dieser Veranstaltung auch eigene Europa-Meister hervor: Manfred Wimmer (1969, 70 und 74) und Helmut Hasibeder (1978). Manfred Wimmer war dann auch der erste westliche Spieler, der sich in Japan zum Go-Profi ausbilden ließ. (s.a. Nachruf Wimmer)

Heute bewegen sich die stärksten österreichischen Spieler um Platz 60 der europäischen Rating Liste . Ein österreichischer Europameister ist derzeit vollkommen undenkbar. Bei den Amateurweltmeisterschaften, die das Stärkeniveau der einzelnen Nationen ganz gut widerspiegeln, fällt es uns zunehmend schwerer einen Platz unter den ersten 15 zu erringen, unter Rang 10 hat es von der derzeitigen Spielergeneration noch keiner geschafft.

Womit hat dieser Rückgang des österreichischen Spitzen-Go zu tun? Sind wir schwächer als die vorhergehende Spielergeneration? Oder sind rund um uns alle anderen stärker geworden?

Beides trifft zu. Besonders Hasibeder war ein Ausnahmetalent, wie es seither in Österreich nicht wieder aufgetreten ist. Doch obwohl von uns heutigen Spielern wohl kaum einer imstande wäre, Hasibeder auf dem Höhepunkt seiner Go-Karriere den Rang streitig zu machen, könnten wir ihm doch gefährlich werden. Er wäre auch heute noch 6. Dan, einen Stein stärker als wir. Doch selbst Hasibeder, der noch vor 20 Jahren zu den Top Five in Europa zählte, hätte heute wahrscheinlich Schwierigkeiten sich unter den ersten 20 zu behaupten. Der Hauptgrund für die Marginalisierung des österreichischen Go liegt also darin, dass sich das Feld der europäischen Spitzenspieler stetig verbessert hat, während die österreichische Spitze stagnierte.

Es sind, glaube ich, zwei Entwicklungsschübe, die das europäische Go seit den 80er Jahren beflügelt haben. Der erste Schub ging von Holland aus und streifte die heranwachsende Spielergeneration hierzulande noch ein wenig. Als ich in den 80er Jahren anfing, Go zu spielen und auf Tourniere zu fahren, war Holland das heißeste Pflaster. Ronald Schlemper war damals gerade aus Japan zurückgekehrt und dominierte die Szene. Er war als Mittelschüler nach Tokyo gegangen um Profi zu werden. Nach einigen Jahren kehrte er zurück und wandte sich vernünftigeren Dingen zu nämlich einem Medizinstudium (heute arbeitet er übrigens als Arzt in Japan). Daneben ließ er sich aber auch sporadisch in der europäischen Tournierszene blicken. Er hatte es zwar in Japan nicht ganz bis zum Profi geschafft, aber man nahm an, dass das nur eine Frage der Zeit war. Schlemper gab das Maß vor, wie stark man sein müsste um Profi zu sein. Und siehe da, er war zwar sehr stark, aber nicht unschlagbar. Damit rückte die Möglichkeit, selbst nach Japan zu gehen und Profi zu werden für andere näher. In Deutschland folgte z.B. Hans Pietsch seinem Beispiel. Auch in Österreich träumten wir damals manchmal von einer Profi-Karriere. Ralph Spiegl verbrachte zu diesem Zweck fast ein Jahr in Korea. Mir hingegen war stets klar, dass wir schlicht und einfach zu spät mit Go angefangen hatten, um dieses Ziel erreichen zu können. Schlemper ist immerhin ein Jahr jünger als ich.

Der zweite Entwicklungsschub geht von Osteuropa aus und hängt wohl mit den dortigen politischen Veränderungen zusammen. Go bietet dort für begabte junge Spieler eine Chance, "die Welt zu erobern", also zumindest das Land zu verlassen, wo anders Fuß zu fassen, den schwierigen Verhältnissen des Heimatlandes zu entkommen. Den sagenhaftesten Aufstieg gab es in Rumänien, das in den achtziger Jahren in Sachen Go noch vollkommen inexistent war. Seit den neunziger Jahren fährt ein junger Rumäne nach dem anderen nach Japan oder Korea und beginnt eine Profi-Karriere. Der bislang erfolgreichste, Taranu Catalin, ist mittlerweile 5. Profi-Dan und nach dem Amerikaner Michael Redmond (9p) wohl der stärkste nicht-asiatische Spieler. Während Catalin immer noch in Japan aktiv ist, sind andere rumänische Spieler wie etwa Christian Pop wieder nach Europa zurückgekehrt und halten sich hier bei europäischen Tournieren schadlos. Ähnliche Karrieren zeichnen sich auch in Russland (Alexandre Dinerchtein, Svetlana Shikshina) und Ungarn (Csaba Merö) ab. Manche westeuropäische Länder haben die Herauforderung angenommen und bringen sukzessive Spieler hervor, die es mit den Osteuropäern aufnehmen können, auch wenn kaum wer von den westeuropäischen Nachwuchsspielern ernsthaft daran denkt, seine Jugend einer Profi-Karriere zu opfern. Und dann gibt es natürlich einige Haudegen meiner Generation oder älter, die nicht aufgeben wollen und manchmal auch noch nach zwei, drei Jahrzehnten ein bisschen an Go-Stärke zulegen.

Was tun?

Über kurz oder lang entscheidet jedoch, was in einem Land an jungem Spielerpotential da ist, und da sieht die Lage in Österreich - mit Ausnahme von Gert Schnider - wirklich nicht rosig aus. Man braucht sich nur einmal ein bisschen genauer mit der europäischen Rating Liste zu beschäftigen, die ja schließlich alle Spieler erfasst, die in den letzten Jahren an Tournieren beteiligt waren. Allein in absoluten Zahlen betrachtet ist die Zahl der österreichischen Tournierspieler bestürzend gering. Deutschland ist mit seinen 1140 aktiven Tournierspielern die größte Go Nation Europas. Gemessen am Verhältnis der Einwohnerzahlen müsste Österreich etwa 1/10 davon aufweisen, also ca. 120 Spieler. Tatsächlich sind es derzeit 44. Selbst Go-Zwerge wie die Schweiz (66) oder Belgien (84) stehen da schon besser da. Noch auffälliger ist jedoch das Verhältnis von tournieraktiven Dan und Kyu-Spielern. Österreich ist mit Dänemark das einzige Land, in dem mehr Dan als Kyu-Spieler tournieraktiv sind. Doch während in Dänemark das Verhältnis mit 20D : 19K mehr oder weniger ausgeglichen ist, gibt es in Österreich fast doppelt so viele aktive Dan Spieler wie Kyu Spieler, 29 : 15! Das ist einsame Spitze! In den meisten Go-Nationen sieht das Verhältnis genau umgekehrt aus. (Bsp. DE, 336 : 804; NL, 91 : 175; ...). Selbst wenn man zugeben muss, dass viele sogenannte Ein Dans in Österreich in internationalen Tournieren besser als 1 oder 2 Kyus auftreten sollten, bleibt das Übergewicht an Dan Spielern bestehen.

Na also, könnte man sagen, wenigstens die Dan-Spieler haben international noch was mitzureden. Da stimmt ja sogar das Verhältnis zu Deutschland einigermaßen. Aber was bedeutet das? Es bedeutet schlicht, dass in Österreich der Nachwuchs fehlt und dass keine Begeisterung für das Spiel da ist. Wer im Go stärker werden will, fährt auf Tourniere, auch wenn er noch nicht zu den Stärksten zählt. Tourniere sind der objektivste Maßstab für die eigene Spielentwicklung und können bei begabten Kyu-Spielern sogar zu einem sprunghaften Anstieg der Spielstärke führen. Tourniere sind eine Quelle der Befriedigung, aber auch Orte der Frustration. Man muss etwas riskieren, wenn man an einem Tournier teilnimmt. Tourniere halten die Go-Szene lebendig.

Wenn keine Kyus zu Tournieren fahren, bedeutet das, dass es keine Spieler gibt, die stärker werden wollen. Und folglich, dass die Stagnation des österreichischen Go so bald kein Ende finden wird. Starke Spieler sind immer Einzelfälle und lassen sich nicht systematisch heranzüchten. Aber die Chance, dass starke Spieler auftreten, erhöht sich, je bekannter das Spiel ist und je aktiver es betrieben wird. Daher betrifft die Frage, ob Kyu-Spieler zu Tournieren fahren oder nicht, über kurz oder lang die gesamte Szene.

Ein starker Go Spieler zu werden ist auch unter der Voraussetzung, dass Talent und Begeisterung vorhanden sind, ein mühseliger Prozess. Wer es in einem Jahr zum Shodan schafft, kann sicher von sich behaupten, außergewöhnlich talentiert zu sein, aber selbst dann muss er zufrieden sein, wenn er sich in den nächsten Jahren jeweils um einen Stein steigert. Vier, fünf Jahre dauert der Weg zur Spitze also allemal, meistens länger. Für mich und die anderen, die in den frühen 80er Jahren diesen Weg vom legendären Klublokal Menzelgasse aus begannen, gab es einen Umstand, der die Sache leichter machte als heute: In der Menzelgasse gab es in jeder Spielklasse jemanden, mit dem man sich messen konnte. Es gab nicht nur insgesamt mehr aktive Spieler als heute, es gab auch ein Stärkekontinuum. Man hatte also als Anfänger nicht nur eine durch neun Steine getrennte Spielerelite vor sich, die einen ständig demütigte, sondern es gab auch viele 10., 8., und 5. Kyus, gegen die man manchmal verlor, manchmal gewann, aber schließlich einen Stein vorrückte. Und es gab eine ganze Gruppe junger Ehrgeizlinge, die unter einander konkurrierten und parallel stärker wurden. Ich frage mich heute, ob wir nicht schuld daran sind, dass die ganzen älteren 10 Kyus und 5 Kyus schließlich das Handtuch geworfen haben.

Jedenfalls profitierten wir damals nicht von den beiden stärksten Spielern Hasibeder und Novak (Wimmer war noch in Japan), denn die waren aufgrund eines unerklärlichen Zerwürfnisses innerhalb der Wiener Go-Szene so wie so nicht in der Menzel- sondern nur in der Joanelli Gasse und auch dort eher selten. (Mit Hasibeder habe ich eigentlich nur Staatsmeisterschaftspartien gespielt.) Wir profitierten von mittlerweile vergessenen Kyu Spielern und von den Tournieren, zu denen wir häufig fuhren.

Und wir lasen viel. Heute habe ich den Eindruck, dass viel weniger Go Literatur gelesen wird, aber das kann täuschen, ich bin ja selbst nicht mehr so oft im Klub. Jedenfalls genügt Spielen allein nicht, um stark zu werden, man muss Partien nachspielen, Kommentare studieren, natürlich auch Josekis büffeln und vor allem Probleme durchgehen. Und dabei darf man natürlich nicht gleich zur Lösung weiter blättern. Heute kann man das alles bereits wunderbar und unentgeltlich im Internet bekommen und das soll man auch ausnützen. Aber in manchen Fällen ist ein Brett vor sich und ein Buch in der Hand doch der bessere Weg. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass eine so genaue Partieanalyse wie in Sakatas Middle game of Go auf dem Computerbildschirm so gut rüberkommt wie in gedruckter Form.

Aber ich möchte nicht allzu weit abschweifen. Wenn ich davon rede, was falsch läuft im österreichischen Go, muss ich mir früher oder später auch die Frage gefallen lassen, was ich denn dagegen tue, bzw. ob ich nicht mit daran schuld bin. Daher abschließend ein Vorschlag: Ich denke, dass es zwei Ansätze gibt, um etwas zu verbessern. Der eine ist bekannt und es hat auch schon immer wieder Versuche in diese Richtung gegeben: Einführungsunterricht, Anfängerstunden. Ich selbst habe mich auch einmal in dieser Hinsicht engagiert, allerdings mit sehr magerem Ergebnis. Ich denke, dass Enführungen, die das Ziel haben, die Klubspieler-Szene zu vergrößern, nur dann erfolgreich sein werden, wenn es im Klub auch einen Mittelbau gibt, der die Anfänger weiterleitet. Es muss also etwas getan werden um Spieler im Bereich 10.-1. Kyu zu remotivieren. In Deutschland gibt es bespielsweise einen Deutschland-Pokal für Spieler, die noch nicht stark genug sind, an der Staatsmeisterschaft teilzunehmen. Wir in Österreich könnten zumindestens wieder mehr Handicap Tourniere veranstalten. Das hätte auch den Vorteil, dass man sich besser nicht allzu hoch einstufen sollte, wenn man bei einem Handicap Tournier gut abschneiden möchte, und damit der Inflation im Einstufungssystem gegengesteuert würde.

Pok, November 2003

PS: Knapp ein Jahr nach Abfassung dieses Artikels habe ich mir die österreichische Rating Liste neuerlich genauer angesehen und eine erfreuliche Trendwende festgestellt: Die Anzahl der Tournierspieler ist in diesem Jahr auf 73 angewachsen. Das Verhältnis Dan-Kyu hat sich ebenfalls normalisiert -- 31 Dan : 42 Kyu (laut Selbsteinstufung), bzw. 27 Dan : 46 Kyu (laut EGF Rating), die demographische Pyramide der österreichischen Go-Bevölkerung beginnt, sich wieder zu normalisieren. Besonders erfreulich natürlich die wachsende Zahl junger Spieler, die langsam in den oberen Kyu und ersten Dan-Bereich vordringen. Allerdings ist nach wie vor die Tendenz zu beobachten, sich etwas zu optimistisch einzustufen....

Pok, Oktober 2004

PPS: Ein weiteres Jahr später ist meine Darstellung des österreichischen Go-Lebens von 2003 obsolet geworden. Der Artikel soll dennoch hier stehen bleiben. Als Warnung...

Pok, November 2005