Pok's Go Space

Pfaundlers Deutsche Gozeitung

Fundstücke der österreichischen Go-Geschichte (I)

gozeitung

Wie im Artikel Go - eine österreichische Angelegenheit? erwähnt, stellte die Deutsche Gozeitung, die der Grazer Universitätsprofessor für Physik Leopold Pfaundler (1839-1920) im Jahr 1909 herausbrachte, einen bedeutenden Schritt in der Verbreitung des Go dar, obwohl die Zeitung nur ein Jahr Bestand hatte. Im folgenden ist eine Abschrift der Seiten 1 und 3 sowie ein Überblick über den Inhalt der weiteren Nummern von Pfaundlers Gozeitung wiedergegeben.

Pfaundlers Zeitung erschien insgesamt zehn Mal. Alle Nummern waren mit dem oben abgebildeten Logo versehen, auf dem eine Japanerin und ein Chinese Go spielen. Die Seiten sind alle handgeschrieben und durchgehend paginiert. Insgesamt brachte es die Gozeitung auf 40 Seiten. Die Verteilung erfolgte per Post an die einzelnen Abnehmer, die sie in Form eines Jahresabbonnements erwarben. Dieses kostete inkl. Porto 1,5 deutsche Goldmark, bzw. 1,8 österreichische Kronen (etwa 15€), die in Form von Briefmarken an Pfaundler zu entrichten waren.

Ganz offensichtlich machte sich Pfaundler die Infrastruktur seines Universitätsinstituts zu Nutze, was vielleicht auch der Grund ist, warum die Gozeitung in den Semesterferien nicht erschien. Pfaundler selbst war 1909 bereits 70 Jahre und scheint das Spiel nicht allzu gut beherrscht zu haben, wie er selbst schreibt. Dennoch verfasste er auch ein Lehrbuch des Go. Der Spielehistoriker Franco Pratesi vermutet daher, dass die anspruchsvolleren Passagen in Pfaundlers Go-Publikationen mithilfe seines Assistenten Hans Benndorf, der offenbar ein etwas fortgeschrittenerer Spieler war, erarbeitet wurden.

Deutsche Gozeitung, Seite 1

No 1. Februar 1909

An die Freunde des Go-Spieles.

Es gibt in deutschen Landen gewiss eine nicht unbedeutende Anzahl von Kennern und Verehrern dieses ältesten aller Brettspiele, doch fehlt es ihnen an Zusammenhang und geistigem Verkehr, weil sie kein Organ zur Verfügung haben, welches diesen Verkehr vermitteln würde, wie es die Schachspieler für ihr Spiel und die Japaner für das Go längst besitzen.

Der Verfasser dieser Zeilen möchte nun den Versuch machen, diese Lücke auszufüllen. Vorläufig in bescheidenster Form und billigster Ausstattung soll in zwangloser Weise je nach der Menge des angesammelten Stoffes ungefähr alle Monate mit Ausnahme der beiden Ferialmonate ein Blättchen, wie das vorliegende verwendet werden, welches den Liebhabern des Go ermöglicht, sich gegenseitig mit interessanten Partien, Problemen, theoretischen Untersuchungen des Spiels, Adressen von Gospielern, Personalnachrichten, Bezugsquellen von Spielrequisiten bekannt zu machen. Auch wird angestrebt, die japanische Go-Literatur in Übersetzungen zugänglich zu machen. Mehrere bewährte Kenner des Spieles in Deutschland und Österreich haben ihre werthvolle Mitwirkung zugesagt und wir bitten die uns noch unbekannten Freunde uns mit Beiträgen zu unterstützen und für Verbreitung hielfreich zu sein.

Der Kosten der Vervielfältigung inklusive Zusendung betragen bei der vorläufig noch kleinen Auflage für 10 Nummern (1 Jahr) 1,50 Mark = 1,80 K. Wir ersuchen die Freunde des Spieles, welche die Zusendung des Blättchens wünschen, obigen Betrag für 10 Nummern (oder die Hälfte für 5 N.) in Briefmarken an den Unterzeichneten einzusenden.

Professor Dr. Leop. Pfaundler. Graz am 15. Februar 1909

Deutsche Gozeitung, Seite 3

(Pfaundler's Liste, hier ohne Angabe der im Original beigefügten Adressen)

Liste bekannter Go-Spieler

Berlin

  • Holz Erich
  • Lange Dr. Max
  • Lasker Eduard, Stud.
  • Lasker Dr. Emanuel
  • Wada Stud.
  • Yasugoro Kitabatake Dr.

Bonn a.R.

  • Loeschigk C.

Bottrop in Westfalen

  • Scheidgen Herm. Stud. theol.

Gnesen in Posen

  • Dueball Felix, Gymn. Oberlehrer

Graz

  • Benndorf Dr. Hans, Univ. Prof.
  • Birnbacher Frl. Rosa
  • Blumenwitz Otto
  • Gabriel Heinz R. von
  • Gstettenhofer Dr. Aug. u. Frau
  • Hartmann Alois Finanzwachoberinspektor
  • Hesse Dr. Max u. Frau
  • Kielhauser Dr. Ernst
  • Koban Dr. Ludw.
  • Neuer Dr. Franz
  • Rozic Dr. Justus
  • Rumpf Erich
  • Schauenstein Dr. Arnold
  • Sorger Frl. Annie
  • Stücker Dr. Norbert
  • Wellik Dr. Albert

Konstantinopel

  • Janko P. von

Lemberg

  • Smoluchowski Dr. Maryan U. Professor

Mödritz bei Brünn

  • Sedlaczek Joh. Dr. med.

Reichenberg in Böhmen

  • Conrad Dr. Otto

Wien

  • Conrad Herbet Ing.
  • Conrad Walter
  • Escherich Frl. Sonny
  • Ernst Herm. Bankbeamter
  • Ernst Wilh. Ing.
  • Exner Dr. Felix, Meteorol. Centr.anstalt
  • Exner Dr. Franz
  • Haitinger Dr. Ludw.
  • Herglotz Dr. Gustav, Prof. techn. Hochschule
  • Kohlrausch Dr. Fritz
  • Mache Dr. Heinz, Prof. techn. Hochschule
  • Meyer Dr. Stefan U. Prof.
  • Pfaundler Dr. Herm
  • Pfaundler Dr. Rich.
  • Schweidter R. v. Dr. Univ. Prof.
  • Speyer Herm.
  • Zwiauer Alfred

Um Ergänzungen dieser Liste wird höflichst gebeten.

Anmerkungen zur Liste der Spieler

In Heft 2, S.8, wird die Liste der Spieler folgendermaßen fortgesetzt:

Hans Benndorf (1870-1953) aus Graz sowie Gustav Herglotz (1881-1953) und Stefan Meyer (1872-1949) aus Wien waren wie Pfaundler selbst nicht ganz unbekannte Physiker. Auch andere Spieler dürften aus dem Kollegen-, Studenten- oder Bekanntenkreis Pfaundlers stammen. Bei dem Herrn aus Konstantinopel handelt es sich möglicherweise um Paul von Jankó (1856, Totis, Ungarn - 1919, Konstantinopel), Pianist, Erfinder der Jankó-Klaviatur und Schüler Anton Bruckners.

So interessant diese Liste bekannter Spieler ist, so wenig ist sicher, dass sie ein adäquates Bild der damaligen Spielerpopulation wiedergibt. Die Dominanz von Wien und Graz, die Verwandtschaftsgruppen, sowie die starke Präsenz von Akademikern spiegeln wohl eher Pfaundlers persönlichen Beziehungen wieder. Diese private Note führt wiederum zu dem Schluss, dass es sich gerade bei den Abonnenten aus Graz und Wien eher um wohlwollende Gönner als um tatsächliche Go Spieler handeln könnte. Dies würde auch die Tatsache erklären, warum die Schar der Leser nach einem Jahr nicht anwuchs, sondern zurückging. Aus dem Inhalt der Gozeitung selbst ergibt sich, dass die engagiertesten Leser eher in Deutschland zuhause waren: Dr. Max Lange (1883-1923) und Eduard Lasker (1885-1981) sandten Beiträge aus Berlin, C. Loeschigk aus Bonn entwarf für die Go Zeitung eigene Probleme. Max Lange hatte im übrigen gute Kontakte zu Japanern in Berlin und sprach offenbar Japanisch.

Ein Schlüsselereignis des europäischen Go

Auf S. 20 schreibt Pfaundler, von Max Lange erfahren zu haben,

..., dass jüngst ein Meister hohen Ranges namens Negeshi(?) in Berlin im Nippon-Klub trotz der Vorgabe von 9 Steinen alle Gegner jedesmal geschlagen habe. Auch vermochte er jede Partie nach der Beendigung aus dem Gedächtnis zu wiederholen.

Dies scheint die damalige deutsche Go-Szene schwer beeindruckt zu haben. Die Begebenheit wird auch in Eduard Laskers Erinnerungen geschildert. Laut Lasker handelte es sich um einen durchreisenden japanischen Mathematiker, der etwa Shodan Niveau hatte. Die Spieler auf deutscher Seite gehörten alle der deutschen Schachelite an, wo Go zu dieser Zeit gerade auf besonderes Interesse stieß. Aber erst durch ihre Niederlage mit neun Steinen Vorgabe wurden die Berliner Schachspieler (angefangen von Weltmeister Emanuel Lasker) davon überzeugt, dass Go in der Tat ähnlich tief und komplex war wie Schach. Eduard Lasker selbst wurde dadurch auf den Gedanken gebracht, in Japan Go zu studieren. Erst dieser Vorsatz führte ihn ins Ausland, allerdings (über Umwege) nach Amerika, wo er die American Go Association mitbegründete. Sein eigentlicher Plan wurde jedoch von Max Lange realisiert. Laut Franco Pratesi (Eurogo I, S. 114) begab sich Lange in den 20er Jahren nach Japan, wo er tragischerweise beim Großen Kanto Erdbeben 1923 ums Leben kam.

Auf den Bericht über den japanischen Meister im Berliner Nippon Klub nimmt schließlich auch Artur Jonak in seinem Brief vom 15. September 1917 Bezug: "...es würde mich ungemein interessieren, wie ein japanischer Meister alle besseren europäischen Spieler mit 9 Vorgabesteinen schlägt..."

Weitere Inhalte der Go-Zeitung

Das Material, das in der Gozeitung besprochen wird, stammte anfänglich vor allem aus Korschelts Schrift, die damals bereits lange vergriffen und daher schwer zugänglich war. Zum einen handelt es sich um Partien (insgesamt 5), die in einer ähnlichen Notation wie Schachpartien (also nicht ohne Brett nachvollziehbar) dargestellt sind, zum anderen um Probleme, die teilweise recht anspruchsvoll sind. Manche Probleme sind allerdings von den Lesern der Go-Zeitung (vor allem von Loeschigk) selbst entworfen und entsprechen nicht ganz den heute gewohnten Standards. Nachstehend zwei anspruchsvollere Beispiele:

problem 6problem 7
Problem 6 (Nr. 7, S. 27; W zieht und tötet) und
Problem 7 (Nr. 9, S. 35; S zieht und lebt)

Ein langer Aufsatz Pfaundlers widmet sich der Frage "Was ist ein Seki"? Darüber hinaus gibt es ein paar Josekis, die aber nicht erläutert werden. Allgemein ist eine begreifliche Ratlosigkeit gegenüber den aus der japanischen Literatur übernommenen Beispielen zu verspüren.

In Nr. 10 präsentiert Pfaundler das Vorwort aus "Neue Gospiel-Geheimnisse von Djunichi-Karigane, gesammelt von Yoshijiro Yano," eine reichhaltige Sammlung von kommentierten Partien, die in Japan erst 1911 unter dem Titel Tora no Maki erschien. Es handelt sich als um einen Vorabdruck! Pfaundlers Informationen stammen wiederum von Max Lange, der offenbar mit Hilfe des in Berlin ansässigen Dr. Kitabatake in den Besitz des Manuskripts gelangt war und eine Übersetzung des Werks in Angriff nahm.