First European Go Oza
Amsterdam, 7.-10. Februar 2002
Dieses neue Spitzentournier war nach langen Jahren mein erster großer europäischer Go-Event und sicherlich das stärkst besetzte Tournier, das ich je besuchte. Dank großzügiger Sponsor Gelder von Toyota und Denso war so ziemlich alles versammelt, was Rang und Namen in der europäischen Amateurszene hat, mit Ausnahme der asiatischen Spieler ohne europäischen Pass. Für sie gab es allerdings ein Begleittournier, zu dem auch jene Spieler hinzustießen, die die ersten vier Runden des Haupttourniers nicht überstanden hatten. (Details dieses ziemlich komplizierten, aber nicht uninteressanten Tourniergeflechts finden sich unter http://www.go-centre.nl). Obwohl sich noch einige Spieler aus meiner aktivsten Tournierzeit vor 15 Jahren wacker an der europäischen Spitze halten, geben mittlerweile hauptsächlich Inseis und Ex-Inseis (also Spieler mit asiatischer Profi-Ausbildung) den Ton an, und auch der Gewinner, der zweifache Europameister Alexander Dinerchtein (RU, derzeit in Korea) ist ein solcher.
Umso erfreulicher für mich, dass ich mich mit drei Gewinnen in der Vorrunde für ein Playoff zur Teilnahme an der Endrunde qualifizierte (ich bin damit offiziell 14. von 76 Teilnehmern, aber das sagt bei 4 Runden wenig aus). Das Playoff spielte ich gegen Dragos Bajenaru, 6D aus Rumänien mit einjähriger Profiausbildung. Er schien mir mit 2555 Punkten im europäischen Go Ranking durchaus packbar und war es auch, wie die Partie zeigte. Erst mein Überoptimismus und das Byoyomi kosteten mich im Endspiel den Sieg. Dennoch entpuppte sich Bajenaru als eine der großen Überraschungen des Tourniers. Er eliminierte in der Endausscheidung seinen Landsmann Christian Pop (6D) und Guo Juan (7D), eine der Favoritinnen, gewann schließlich auch gegen F.-J. Dickhut und musste sich nur Dinerchtein geschlagen geben.
Die vier Runden der Endausscheidung, die unter den erfolgreichsten 16 der Vorrunde nach KO System ausgetragen wurden, brachten überhaupt mehrere Überraschungen: Von den fünf qualifizierten Niederländern (inklusive Guo Juan) überlebte keiner die zweite Runde. Dabei hatten viele mit einem Finale Van Zeijst gegen Guo Juan gerechnet. Ganz offensichtlich spielte auch der anstrengende Austragungsmodus eine gewisse Rolle, denn nur Spieler unter dreißig (Merö, Dinerchtein, Bajenaru, Dickhut) erreichten schließlich das Semifinale. Betrachtet man daher nur die Rankingzahlen seiner Gegner war Dinerchteins Weg zum Sieg verhältnismäßig eben. Trotzdem ist er ganz zurecht Europäischer Oza geworden. Ich habe ihn beim Kommentar seiner Spiele erlebt - sein Go Verständnis geht weit über das übliche Maß bei starken Amateuren hinaus. A propos Kommentare: Offensichtlich wurde der Event von der asiatischen Profiszene nicht weiter beachtet, denn außer Shigeno Yuki (die ein Italien lebt) und Kobayashi Chizu ließ sich kein bekanntes (oder unbekanntes) Profi Gesicht blicken. Fürchtet man sich langsam vor der Konkurrenz?
Für mich selbst war mit dem Ausscheiden aus dem Haupttournier der Stress keineswegs zu Ende. Das Begleittournier wurde nämlich nach dem gleichen Muster (4 Vorrunden, 4 Runden KO) nur mit kürzerer Bedenkzeit gespielt. Ich musste also am 3. Tag vier Partien mit je 45 min. Bedenkzeit spielen. Am Vormittag gings noch (u.a. ein sehr befriedigender Sieg gegen den alten Vladimir Danek), aber die letzten beiden Runden spielte ich nur noch im Nebel. Am 4. Tag hatte ich eine gute Partie gegen Emil Nijhuis, aber mit nunmehr nur noch 30 min. Bedenkzeit fiel ich im späten Endspiel doch einem "sudden death" zum Opfer.
Für alle, die in Zukunft nach Amsterdam fahren wollen, noch ein Wort zum Ort des Tourniers. Das Europäische Go-Zentrum ist als Gebäude natürlich ein Hammer (es wurde vor etwa 10 Jahren vom legendären Iwamoto Kaoru gestiftet). Auch die Organisation klappte reibungslos. Der Nachteil: Das Go-Zentrum liegt in Amstelveen, also etwa dem Schwechat von Amsterdam, direkt in der Flughafenschneiße. Wer eine Stadtbesichtigung vor hat, sollte sich einen Tag extra Zeit nehmen. Ich selbst habe das touristisch interessante Amsterdam nur an einem einzigen Abend zu Gesicht bekommen.
Pok, Frühjahr 2002
Dieser Bericht wurde erstmals auf Martin Gomilschaks nicht mehr existenter Website Treasure Chest of Go veröffentlicht