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1. European Oza, Amsterdam 2002

Black: Bernhard Scheid, 5d time: 90 min, 30 sec byo-yomi
White: Dragos Bajenaru, 6d (RO) komi: 6,5
    date: 8.2. 2002
result: W+ 4 1/2 place: Europäisches Go-Zentrum Amstelveen
       

Mein Mitbringsel vom Europäischen Oza Cup 2002: Die Partie, auf die ich selbst am stolzesten bin, habe ich ironischerweise gar nicht gewonnen. Sie ist ein Schulbeispiel, wie schwer es ist, gewonnene Partien "nach Hause zu bringen". Fuseki und Mittelspiel waren aber aus meiner Sicht fast fehlerlos, und das gegen einen der Tournierfinalisten! Vor allem aber illustriert die Partie sehr schön, wie Potential (Aji), das scheinbar gar nicht ausgenützt wird, den Verlauf einer Partie bestimmen kann. Siehe auch meinen Tournierbericht Meine Finalrundenpartie gegen Gert Schnider ist sicher keine Meisterleistung, aber vor allem wegen des wilden Kampfes im späten Mittelspiel von einem gewissen Unterhaltungswert.

Figur 1, Züge 1-50

Weiß 10, Schwarz 11: Diese Abfolge entscheidet den Charakter der Partie: Keine large-scale Moyos, sondern kleinräumige Gruppen. Zugleich sind viele Steine auf der 4. Linie: Beide Seiten bemühen sich um Außeneinfluss.

Schwarz 25-27: Da Weiß links unten Einfluß hat, baut Schwarz feste Stellungen, anstatt die weiße Gruppe rechts unten stärker zu attackieren. Dadurch erhält Weiß Sente.

Schwarz 35-37: Auch Schwarz 36, Weiß A, Schwarz 35 wäre denkbar. S möchte jedoch den Einfluß von Weiß im Zentrum nicht zu groß werden lassen.

Weiß 38: sieht gut aus, macht aber das Aji des schwarzen Steins auf 9 umso virulenter (jetzt lohnt es sich langsam, diesen in Bewegung zu setzen). Vielleicht wäre B besser.

Weiß 40-48: nach dieser Abfolge ist die gesamte weiße Formation am unteren Rand dünn. Vor allem W40 schadet (dieser Push ist nicht notwendig). Schwarz braucht sich nun gar nicht mehr darum zu bemühen, seine Formationen auf der rechten Seite zusammen zu halten, und hat daher Sente, um sich die rechte Ecke zu sichern - der größte Gebietszug am Brett.

Schwarz 49: Zuvor möchte Schwarz aber noch etwas für seine Gruppe am oberen Rand tun. Der Peep 49 garantiert, dass W die Invasion auf 51 nachgiebig behandelt. Im Nachhinein betrachtet ist der Abtausch 49 - 50 aber fast genauso schädlich für Schwarz, wie der Abtausch 40 - 41 für Weiß. Beides typische Amateurfehler. Wahrscheinlich besser für Schwarz, gleich die Ecke zu sichern und das Aji von 51 weiter vor sich hin blühen zu lassen.

Figur 2, Züge 51-100

Schwarz 59: Alles in allem gefällt mir die Stellung nach 59 für Schwarz. Weiß hat nur in der linken oberen Ecke sicheres Gebiet. Die Seite unten hat zwei Schwachstellen, nämlich das Aji von 9 und die Gegend um 38, z.B. A. Die schwarze Stellung rechts oben ist zwar noch nicht 100%ig Gebiet, aber solang die weiße Gruppe am oberen Rand nicht definitiv zwei Augen hat, ist eine Invasion höchst riskant.

Weiß 60: erzeugt einen Schwachpunkt auf B. Schwarz muß reagieren und soll Weiss damit die Chance geben, die eigenen Schwachpunkte zu decken.

Schwarz 61-71: Die Abfolge läuft für Schwarz wie auf Bestellung. Weiß reduziert zwar das Aji am unteren Rand, gerät dafür aber links in Bedrängnis. Besonders die Tatsache, dass Weiß 70 wunschgemäß einen schwarzen Bambus mit weißem Doppel-Peep provoziert, erfüllt Schwarz mit Wonne.

Weiß 74: Weiß spürt, dass er hinten liegt und spielt entsprechend aggressiv. Wenn Schwarz jetzt nachgibt, ist sein ganzer Vorteil wieder verloren.

Schwarz 75 - Weiß 98: Schwarz kämpft aggressiv zurück und hat Erfolg. Jeder Zug der Abfolge ist erzwungen. Weiß lebt zwar mit 5 Punkten Gebiet, aber Schwarz hat nicht nur zwei Endspielsequenzen (S-93 und 97) gratis bekommen, die ganze weiße Ecke links oben ist auf einmal fragil. Zumindest sollte es von nun an kein Problem sein, absolute Ko-Drohungen zu finden.

Schwarz 99: Nun muß sich Schwarz aber doch um die eingeschlossene Gruppe kümmern.

Figur 3, Züge 100-150

Ko um 33: Weiß 38, 44, 50 auf 2; Schwarz 41, 47 auf 33.

Weiß 106: Verstehe ich nicht. Warum nicht wenigstens A?

Schwarz 107: S deckt indirekt sein Gebiet am rechten Rand und schließt zugleich die weiße Gruppe rechts unten locker ein. Darüber hinaus streckt S-107 der schwarzen Zentrumsgruppe eine helfende Hand entgegen, sollte W den Schnittstein W-82 retten wollen.

Weiß 108: Folgerichtig reduziert Weiß die rechte Seite und schafft dabei weißes Gebietspotential im Zentrum.

Weiß 112: Ein ähnlicher Zug wie S-107: Weiss eliminiert alle Schwachpunkte der linken Seite und droht leise in Richtung Zentrum.

Schwarz 113 schafft einen Notausgang für die Zentrumsgruppe (die Schnittsteine W74 und 78 können mit Ko geschlagen werden) ...

Schwarz 117: ...und macht sich genüsslich daran, die Gruppe r.u. auf zwei Augen zu reduzieren.

Damit beginnt das Endspiel, und es scheint, dass S mindestens 10 Punkte am Brett vorn liegt, wenn nicht noch Überraschungen im Zentrum passieren.

Schwarz 127: Schwarz spielt daher ganz auf sicher, aber vielleicht wäre es doch besser gewesen, mit B - oder noch aggressiver mit C - Druck auf das weiße Zentrum zu machen.

Schwarz 133-137: Schwarz muss nun seine Augenform verteidigen, möchte aber zugleich das Aji eines Klemms auf D zum Erblühen bringen und versucht daher die weißen Außenfreiheiten in Sente zu reduzieren. (Dass ich mich in dieses Aji verrannt habe, war wahrscheinlich der Hauptgrund meiner Niederlage.) Statt 133 wäre besser S auf W134. Wenn Weiß auf 133 deckt, hat Schwarz sicher zwei Augen, kann das Endspiel-Hane auf E spielen und dann z.B. auf F decken.

Figur 4, Züge 151-217


Diagramm 1

Schwarz 153, 155: Schwarz hat nicht die Nerven, das Ko weiter zu spielen und bereinigt die Situation. Er verliert dadurch mindestens 10 Punkte in der Ecke rechts unten, gewinnt allerdings 6 oder 7 Punkte links oben und hat Sente. Die Partie ist nun sehr knapp.

Weiß 172: bereinigt nicht nur Aji, sondern sichert ca. 3 Punkte in Reverse-Sente. Ich hätte mit 161 die Chance gehabt, hier zu spielen, doch ich bekam die Idee hier zu klemmen nicht aus dem Kopf. Da ich zu diesem Zeitpunkt aber bereits im Byoyomi war, konnte ich nicht alles Varianten ausrechnen und spielte gar nicht. Im Nachhinein gesehen, hätte ich am besten gleich Hane gespielt.

Schwarz 173: Ein weiterer Fehler. Besser 198.

Schwarz 185 ist der loosing move. Weiß befreit mit 188 seinen Schnittstein und fängt damit drei Steine im Zentrum.

Diagramm 1: Hätte ich statt 185 auf A gespielt, hätte sich der weiße Schnittstein (W-82) nicht befreien können. Der Abtausch C-D ist dabei allerdings entscheidend. Weiss kann lediglich den markierten Stein fangen

Nachdem das Zentrumsgebiet die Farbe gewechselt hat, ist die Partie gelaufen. Da auch Weiss im Byoyomi war, erhielt ich später doch noch ein kleines Geschenk (180, 182), sodass ich letztendlich einen Punkt am Brett führte. Weiß gewann also mit 4 1/2 Punkten. (Die Züge nach 225 wurden ausgelassen.)

Pok,Frühjahr 2002

PS: Dieser Partie Kommentar wurde auch in The Treasure Chest von BigM veröffentlicht.
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Last update: Oct 2004