Pok's Go Space

Korschelts geschichtlicher Abriss des Go

Auszug aus einer Einführung in das Go Spiel aus dem Jahr 1880

Oskar Korschelt (1853-1940) veröffentlichte seine berühmte Einführung in das Go-Spiel erstmals in der Zeitschrift Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur und Völkerkunde Ost-Asiens, wo sie 1880 in vier auf einander folgenden Nummern erschien. Der gesamte Text kann über die Homepage der heute noch existierenden Gesellschaft (OAG) auch online gelesen werden.

Später kam "der Korschelt" auch als Buch heraus. Dieses wurde in modifizierter Form im Jahr 1907 von Arthur Smith ins Englische übertragen und schließlich ab 1956 im Verlag Tuttle unter dem Titel The Game of Go in zahlreichen Auflagen publiziert. Derselbe Verlag gab 1965 eine weitere Übersetzung von Korschelts Werk unter dem Titel The Theory and Practice of GO heraus.

Im folgenden ist die historische Einführung von Korschelts Essay in der originalen Rechtschreibung wiedergegeben. Die Anmerkungen dazu stammen von mir. Meine eigenen Informationen beziehe ich zum größten Teil aus den Schriften von Masukawa Kōichi, die ich vor vielen Jahren einmal eingehend studierte (siehe auch Castle Games of the Edo Period).

Ich habe den langen Aufsatz außerdem in folgende Abschnitte unterteilt:

Go und Schach :: Chinesischer Ursprung :: Japanische Go-Geschichte :: Go-Schulen der Edo-Zeit :: Rangsysteme :: Go zu Korschelts Zeit

Pok, Februar 2011

Das "Go"-Spiel

Korschelts abwertende Beschreibung des Shōgi ist nicht ganz korrekt: Auch im Shōgi gab es in der Edo-Zeit ein dem Go vergleichbares Profi-System. Shōgi gilt jedoch noch heute in Japan als das "einfachere" Spiel und ist gleichzeitig weiter verbreitet.

In Japan sind von Alters her zwei Bretspiele üblich gewesen. Das eine, Shogi, ist eine Art Schachspiel, nur viel unvollkommener, als das europäische Schach und ist bereits im 5ten Hefte der «Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur und Völkerkunde Ost-Asiens» von V. Holtz kurz beschrieben worden. Im Shogi giebt es ausser den Bauern und dem König noch 6 Arten von Offizieren, die aber in ihren Bewegungen sehr wenig Freiheit haben. Dies und besonders der Umstand, dass man diejenigen Figuren, die man dem Gegner genommen hat, als seine eigenen auf jedes beliebige leere Feld wieder aufsetzen kann, wodurch natürlich weiter gehende Pläne ganz unmöglich gemacht werden, stellen das Shogi weit unter das Schach. Doch ist es noch weit edler, als die sonst bei uns üblichen Bretspiele, wie Dame oder Mühle. Die Kenntniss des Shogi ist in Japan sehr verbreitet, das Volk spielt es eifrig und viel, wahrscheinlich, weil das Kartenspielen streng verboten ist. Doch hat das Shogi wohl nie eine systematische Behandlung erfahren, Shogi-Clubs hat es, wie schon V. Holtz erwähnt, niemals gegeben, auch sind mir keine Bücher über Shogi bekannt geworden.

Go und Schach

Ganz anders verhält es sich mit dem zweiten japanischen Bretspiele, dem Go. In den 11 Jahrhunderten, die verflossen sind, seit dieses Spiel aus China herübergebracht wurde, haben die Japaner es immer eifrig gepflegt. Sie haben die Chinesen in der Fertigkeit im Spiele längst überholt und betrachten es als ihr Nationalspiel. Das grosse Interesse, das die Japaner an dem Go nehmen, wird am besten durch die Thatsache illustrirt, dass in den letzten dreihundert Jahren die Ausbildung und das Studium des Go eine Staatsangelegenheit war. Es bestand in dieser Zeit eine Go-Akademie, die besten Spieler waren gut besoldete Regierungsbeamte, die die Kunst zu lehren und weiter zu entwickeln hatten. Die Akademie, die im Jahre 1868 mit allen anderen Einrichtungen des Bakufu zusammenbrach, hat ihre Aufgabe gut erfüllt. Sie hat eine reiche Literatur über Go geschaffen und das Spiel so ausgebildet, dass es einen Vergleich mit unserem Schach nicht zu scheuen braucht. Dass trotz des grossen Werthes des Go noch keiner der hier lebenden Fremden sich eingehender mit demselben beschäftigt hat, liegt wohl ausser an der unscheinbaren Aussenseite, die das Spiel hat, an der grossen Mühe und dem bedeutenden Aufwande von Zeit, welche es erfordert, um nur ein einigermaassen guter Spieler zu werden.

Korschelts Lehrer, der in diesem Absatz erwähnte "erste Meister" Japans, wird weiter unten noch einmal erwähnt. Es handelt sich um Murase Shūho, der kurz vor seinem Tod, 1886, zum 18. Honinbō ernannt wurde.

Eine systematische Behandlung des Spiels, wie wir sie in unseren Schachbüchern zu finden gewohnt sind, findet sich in den Büchern über Go nicht. Es sind nur Beispielsammlungen, mit wenigen und sehr kurzen Randbemerkungen, in denen versichert wird, dass der oder jener Zug gut oder schlecht sei. Wie wahr diese Bemerkungen auch immer sein mögen, so kann doch ein Anfänger aus denselben gar keinen Nutzen ziehen, der kurze Weg des rasch in den Kern der Sache eindringenden Selbststudiums ist verschlossen und nur der langwierige der practischen Uebung und des Unterrichts durch einen Meister ist möglich. Eine lange Krankheit gab mir die nöthige Zeit, um über den uninteressanten Anfang hinwegzukommen und noch jetzt den Unterricht des ersten Meisters in Japan weiter geniessend, bin ich weit genug gelangt, um einzusehen, welch ein edles und dem Schach ebenbürtiges Spiel das Go ist. Ich bin überzeugt, dass es nur einer ausführlichen Beschreibung des Go bedarf, um das Spiel in Europa einzuführen. Unsere Schachkreise werden erkennen, dass die geistreiche und tiefe Weise, in der das Go gespielt werden kann, nur beim Schach sich wiederfindet und das Go wird ohne Zweifel bald neben dem Schach in Europa gepflegt werden. Schach und Go sind beide Kriegsspiele. Die Kriegführung, die im Schach dargestellt wird, ist aber die vergangener Zeiten, in denen der König mit in den Kampf zog und durch seinen Fall die Schlacht verloren zu sein pflegte und in denen Sieg oder Niederlage mehr durch die hervorragende Tapferkeit einzelner Edeln, als durch den Kampf des gemeinen Volks oder durch strategische Bewegungen entschieden wurde. Das Go hingegen ist nicht blos das Bild einer Schlacht, wie das Schach, sondern eines ganzen Feldzuges und zwar eines Feldzuges moderner Art, in dem die strategischen Bewegungen der Massen zuletzt den Sieg entscheiden. Schlachten werden stets mehrere, zugleich oder hinter einander, ausgekämpft, feste Stellungen werden belagert und genommen, ganze Armeen werden von ihrer Rückzugslinie abgedrängt und gefangen genommen, wenn sie nicht rechtzeitig sich in uneinnehmbarem Stellungen verschanzen. Zum Kampf mit der blanken Waffe kommt es nur selten, ganz wie in den modernen Schlachten auch. Im Gegentheil ist es häufig ein Grund des Verlustes, dass man zu frühe zum Nahekampf geschritten ist. Die überlegene Strategie sichert den Sieg.

Es ist schwer zu entscheiden, welches von beiden Spielen grösseren Genuss bietet. Die Combinationen des Go leiden denen des Schach gegenüher an einer gewissen Monotonie, weil keine Figuren mit verschiedener Art der Bewegung vorhanden sind und weil die Steine, einmal aufs Feld gesetzt, sich nicht mehr bewegen. Doch wird das durch die grössere Zahl der Combinationen und der Stellen, wo man sich auf dem Bret bekämpft, wieder ausgeglichen. Im Allgemeinen wird man sagen können, dass zwei mittelmässige Spieler von etwa gleicher Stärke beim Go mehr Genuss finden werden, als beim Schach. Beim Schach ist es ziemlich sicher, dass von zwei solchen Spielern derjenige verlieren wird, dem zuerst eine Figur genommen wird, ohne dass er eine andere gleichwerthige dafür eintauscht. Das weitere Spiel ist dann meistens nur noch ein erfolgloses Ankämpfen gegen sicheren Verlust. Der im Vortheil befindliche Spieler hat sich dann nur zu hüten, selbst einen Fehler zu machen, um Sieger zu bleiben.

Beim Go dagegen macht ein grosser Verlust noch lange nicht den Verlust des Spieles aus. Man begiebt sich dann auf ein anderes Schlachtfeld, wo man durch die Niederlage, die man auf dem früheren Schlachtfeld erlitten hat, meistens gar nicht beeinflusst wird, und kann da die erlittene Scharte wieder auswetzen.

Eine besondere Schönheit des Gospiels, die das Schach nicht hat, liegt darin, dass man grosse Verluste, die man während des Spiels erleidet, zu einem Mittel machen kann, dafür auf einer anderen Stelle des Brets oft ziemlich bedeutend Vortheile zu erringen (durch das sogenannte Ko). Ein Spiel ist um so interessanter, je häufiger die Aussichten auf Sieg oder Niederlage wechseln und je weniger man sicher ist, das errungene Übergewicht, das den Sieg bedingt, auch bis zu Ende zu behaupten. Dieses Schwanken der Chancen giebt ja den Kartenspielen ihren Reiz. Beim Schach wechseln die Chancen nicht oft, nur selten mehr als zweimal, beim Go dagegen viel häufiger. Gerade am Ende des Spieles wird beim Go oft nahezu im letzten Momente durch ein geistreiches Manöver die schon ganz sicher scheinende Niederlage in Sieg verkehrt. So wird das Go, obgleich es ebenso wie das Schach ein Spiel ist, in dem die Zufälle des Glücks gar nicht, sondern nur Umsicht und Scharfsinn entscheiden, dennoch mit mehr Leidenschaft gespielt werden können, als das Schach und darum interessanter als dieses sein.

Geschichte des «Go»

Chinesischer Ursprung des Spiels

Go ist das älteste aller bekannter Spiele (1). Es finden sich in den alten chinesischen Werken drei Personen als Erfinder des Go genannt, von denen dem einen in Japan ganz allgemein die Erfindung zugeschrieben wird. Das ist der berühmte chinesische Kaiser Shun, der von 2255-2206 v. Chr. regiert hat. Darnach wäre das Spiel 41 Jahrhunderte alt. Er erfand das Spiel, heisst es, um die schwachen Verstandeskräfte seines Sohnes Shokin sich daran kräftigen zu lassen. Andere bezeichnen den Vorgänger des Shun, den Kaiser Gio, chinesische Aussprache Yao, der von 2357-2256 v. Chr. regierte, als den Erfinder.

Während Korschelts japanische Informanten zu dieser Zeit sicher noch von der realen Existenz der chinesischen Kaiser Yao und Shun überzeugt waren, gelten sie heute als legendäre Figuren. Korschelt übt zwar an der Historizität der Legenden über den Ursprung des Go Kritik, nicht aber an den mit diesen Legenden verbundenen Zeitangaben. Dieser "blinde Fleck" findet sich noch heute in einführenden Darstellungen, die dem Spiel ein Alter von "etwa 4000 Jahren" zuschreiben.

Die Legenden von Yao und Shun sind in der Go-Geschichte allgemein bekannt, den dritten Kaiser, "Kieh Kwei" findet man unter diesem Namen wahrscheinlich nur in der westlichen Go Literatur erwähnt. Heute wird er Di Jieoder Xia Jie genannt. Er gilt in der chinesischen Geschichtsschreibung als Inbegriff eines sadistischen Tyrannen, dessen untugendhaftes Verhalten zum Untergang der Xia Dyanstie führte. Ich würde vermuten, dass die Legende, Go sei zusammen mit dem "Kartenspiel" (wohl eher Würfelspiel) unter der Herrschaft dieses Despoten erfunden worden, von konfuzianischen Moralisten stammt, die Brettspiele grundsätzlich ablehnten, da sie zum Wetten verleiten.

Das würde das Alter des Spiels noch um ein Jahrhundert, also auf 42 Jahrhunderte erhöhen. Die dritte Angabe ist, das U, ein Vasall des Kaisers Ketsu, chinesische Aussprache: Kieh Kwei, 1818-1767 v. Chr. der Erfinder des Go war. Derselbe wird auch als Erfinder des Kartenspiels bezeichnet. Das Go wäre dann beinahe 37 Jahrhunderte alt. Miyoshi meint, dass wahrscheinlich doch Gio oder Shun die Erfinder seien und dass U das Spiel nachträglich noch einmal erfunden habe, was ja bekanntlich häufig geschieht. Ich bin dagegen geneigt, die dritte Angabe als die zuverlässigere zu betrachten, einmal, weil die Erfindung dann jünger wird, zweitens weil U ein Vasall und kein Kaiser ist. Kaiser haben weder Zeit noch Gelegenheit, Erfindungen zu machen, das wird in jenen alten Zeiten nicht anders gewesen sein. Von allen Detailangaben abgesehen, sagt Miyoshi weiter, und obgleich man mit Recht viele von den Nachrichten über jene alten Zeiten bezweifeln müsse, so sei es doch ganz sicher, dass das Go schon im hohen Alterthume in China bekannt gewesen sei. Als Beweis führt er eine Reihe von alt chinesischen Werken an, von denen die älteren etwa 1000 Jahre v. Chr., also etwa 1300 Jahre nach Gio und Shun geschrieben sind und in denen beiläufig und in Gleichnissen das Go erwähnt ist, so dass es damals schon eine ganz bekannte Sache gewesen sein muss. Die oben mitgetheilten Angaben über die Zeit der Erfindung des Go werden dadurch in der That glaubhaft.

Auch vom Schach hat man bekanntlich früher angenommen, dass es ein ungeheures Alter habe, indem man ein indisches Würfelspiel, bei dem vier Personen mit je acht Figuren (König, Elefant, Ross, Fusskämpfer) auf einem Brete spielten und durch Wurf bestimmt wurde, welche Figur zu ziehen habe, mit dem Schach, das später aus ihm entstand, verwechselte. Das Schach entstand erst um das Jahr 500 unserer Zeitrechnung, doch hatten die Figuren zum Theil noch sehr unfreie Bewegung, erst vor 400 Jahren erlangte das Schach seine heutige Gestalt. Es liegt nun sehr nahe, anzunehmen, dass beim Go eine ähnliche Entwicklung zu immer grösserer Vollkommenheit stattgefunden habe und dass also dem Go, wie es jetzt gespielt wird, nicht das kollossale Alter von rund 4000 Jahren zugeschrieben werden könne. Bei der beispiellosen Einfachheit der Regeln des Gospiels lässt sich aber eine solche Annahme der Fortentwicklung des Spiels nicht machen. Man sehe die Spielregeln im nächsten Abschnitte nach, um sich davon zu überzeugen, dass es in der That wenig Spiele geben wird, deren Regeln einfacher wären. Nur in einer Hinsicht werden Verbesserungen des Spiels stattgefunden haben, man wird nur allmählig zu der jetzigen, wahrscheinlich am besten dem Zwecke entsprechenden Grösse des Bretes mit 19x19 Punkten und damit zusammenhängend zu der jetzigen Anzahl der Steine gelangt sein. Derartige Abänderungen bedingen aber nicht eine Aenderung des Characters des Spieles, ebenso wenig wie man ein neues Spiel schuf, als man vor 40 Jahren einigen Figuren im Schach andere Bewegungen gab. So hat es also dabei zu verbleiben, dass das Gospiel 4000 Jahre alt und das älteste Spiel der Welt ist.

Miyoshi erzählt weiter, dass in China von etwa 200 v. Chr. bis 600 n. Chr. Dichtkunst und Gospiel gleichzeitig in hoher Blüthe gestanden hätten. Ein Dichter Bayu, der um das Jahr 240 n. Chr. lebte, machte sich durch Gedichte berühmt, in denen er das Gospiel verherrlichte.

Als etwas merkwürdiges findet sich in den alten Büchern verzeichnet, dass im 3. Jahrhundert n. Chr. ein Mann mit Namen Osan so geschickt im Go war, dass er eine eben gespielte Partie einreissen und aus dem Gedächtniss richtig wieder aufsetzen konnte. Dies ist insofern von Interesse, als es zeigt, dass die Schulung des Gedächtnisses im Laufe der Zeit dasselbe für die Stellungen beim Go viel stärker gemacht hat. Es giebt jetzt Hunderte von Gospielern in Japan, die eine fertig gespielte Partie noch einmal Zug für Zug wieder aufsetzen können. Es ist sogar Regel, wenn man mit einem Lehrer des Go spielt, dass dieser jede Partie noch einmal vorspielt, und dabei das Spiel des Schülers kritisirt.

Der von Korschelt hervorgehobene Ehrentitel kisei wird seit 1976 dem Gewinner des höchstdotierten japanischen Go-Tourniers (Kisei-sen) zuerkannt.

Aus der altchinesischen Zeit haben sich viele das Gospiel betreffende Anecdoten erhalten, von denen nur eine erwähnt werden mag, welche recht gut zeigt, wie hoch geschätzt das Spiel wurde. Sha an, ein Mann, der zur Zeit der Dynastie der Tsin, 265- 419 v. Chr. lebte, führte Krieg mit seinem Neffen Shagen. Des Mordens müde, liessen sie den Sieg durch eine Partie Go entschieden werden, die sie mit einander spielten. Die geschicktesten Spieler ehrte man durch den Titel Ki-sei oder Ki-sen, von Ki = Gospiel und Sei = Heiliger, sowie Sen = in den Bergen lebendes Zauberwesen.

Zur Zeit der Dynastie der Tang 618-906 sowie der Dynastie der Sung 960-1126 wurden die ersten Bücher über das Gospiel geschrieben, so das Gokio und das Gosetsu. Auch in dieser Zeit blühte das Gospiel in China und gab es ausgezeichnete Spieler in Menge.

Japanische Go-Geschichte
Die Ära "Tempei Shoho" wird heute als Tenpyō-shōhō (749–757) bezeichnet; Kōken Tennō war eine Frau; "Kibidaijin" (Minister Kibi) ist heute besser als Kibi no Makibi (695–775) bekannt. Dennoch erstaunt die Akribie, mit der Korschelt die Daten seiner japanischen Informanten aufzeichnet und umrechnet.

Korschelts Maßnahme gegen das sog. "Spiegelgo" funktioniert natürlich nur, wenn der anziehende Spieler gespiegelt wird. Wahrscheinlich setzte der japanische Prinz aber den ersten Stein in die Mitte und spiegelte dann die Züge des Gegners.

Nach japanischer Zeitrechnung im 6. Jahre Tempei Shoho unter der Herrschaft des Kaisers Koken tenno, als man in China das Jahr Tien Tao zählte und der Kaiser Hiüan Tsung regierte, wurde das Go nach Japan gebracht und damit eine neue Epoche für das Gospiel eröffnet. Das geschah nach unserer Rechnung im Jahr 754. Der in der Geschichte Japans auch sonst bekannte Kibidaijin wurde damals als Gesandter nach China geschickt und brachte das Spiel nach Japan zurück. Doch verbreitete es sich da anfangs nur sehr langsam. So wird erwähnt, dass noch 100 Jahre später die Zahl der Gospieler unter den Edlen, auf welche die Kenntniss des Spieles beschränkt blieb, eine äußerst geringe war. In den nengo's Kasho (849-851) und Jisho (852-854) hielt sich ein japanischer Prinz in China auf und spielte da viel Go. Der beste Spieler in China mit Namen Koshigen war sein Lehrer. Auf diesen Prinzen wird sich die Anecdote beziehen, die ich häufig habe erzählen hören. Da man, um ihn zu ehren, ihm immer die besten Spieler gegenübersetzte, so verfiel er, um doch endlich einmal zu siegen, auf den Ausweg, seine Steine genau ebenso zu setzen, wie sein Gegner, d.h. wenn dieser einen Punkt besetzte, so besetzte er den zu diesem symmetrisch gelegenen und gewann dadurch. Wenn die chinesischen Meister wirklich sich durch diese Spielweise verblüffen liessen und den sehr einfachen Gegenzug nicht fanden, so müssen sie sehr schlechte Spieler gewesen sein. Man braucht nämlich nur den Punkt in der Mitte zu spielen, zu dem es keinen symmetrischen Punkt giebt oder das Spiel so einzurichten, dass man die um die Mitte gesetzten Steine des Gegners nehmen kann, dann kann der Gegner nicht wieder nehmen und das symmetrische Spiel hört auf.

Um das Jahr 850 war Wakino Ason Sadaomi als ein grosser Freund des Go berühmt. Tag und Nacht hindurch spielte er und war er ins Spiel vertieft, so vergass er alles andere absolut.

"Kiyowara no Mahira" wird von der heutigen Forschung Kiyohara no Sanehira genannt. Er entstammte einem der frühen Samurai­geschlechter, die sich aus den permanenten Grenzkriegen mit den sogenannten Emishi im Norden Japans herausbildeten. Die hier erwähnte Anekdote ist sehr interessant, wird aber in der gängigen japanischen Go-Geschichte kaum noch erwähnt.

In den nächsten beiden Jahrhunderten verbreitete die Kenntniss des Spiels sich nicht über den Hof von Kioto hinaus. Es scheint sogar verboten gewesen zu sein, Go anderswo als am Hofe zu spielen. Miyoshi erzählt wenigstens, dass zur Zeit Otoku (1084-1086) der Fürst von Dewa, Kiyowara no Mahira das Gospiel heimlich in Oshu und Dewa eingeführt und mit seinen Vasallen gespielt habe. Von da an wurde nicht blos die Zahl der Edeln, die das Spiel trieben, rasch grösser, sondern auch die Wohlhabenden im Volke fingen jetzt an, das Go zu studiren. Am Anfange des 13. Jahrhunderts war das Go unter dem Kriegerstande allgemein bekannt und wurde mit Leidenschaft gespielt. Von den berühmten Feldherren jener Zeit bis herunter zum gemeinen Soldaten spielten alle Go, die in den Krieg zogen. Das Gobret und die Steine führten sie in den Feldzügen mit sich, war die Schlacht vorüber, so wurde das Bret hervorgeholt und der friedliche Kampf begann.

In Kamakura, das Minamoto no Yoritomo 1186 zur Residenz erhoben hatte, spielte Hojo Yoshitoshi gerade mit einem Gaste Go, als die Nachricht von der Empörung des Wada Yoshimori anlangte. Yoshitoki beendigte das Spiel in aller Ruhe und traf dann erst seine Massregeln zur Niederwerfung des Aufruhrs. Das war im ersten Jahre Kempo (1213).

Go-Schulen der Edo-Zeit
Oda Nobunaga (1534-82), Toyotomi Hideyoshi (1536?-98) und Tokugawa Ieyasu (1543-1616) gelten als die "drei Reichseiniger" am Ende von Japans "Zeit der kämpfenden Länder" (sengoku jidai).

"Sansha" ist heute als Honinbo Sansa bekannt. Die Episode von der Go-Partie vor der Ermordung Nobunagas lautet genau genommen folgendermaßen: Nobunaga ließ Sansa gegen seinen Rivalen Rigen eine Partie austragen, die in einem Tripel-Ko und daher unentschieden endete. Da Nobunaga in der gleichen Nacht ermordet wurde, gilt ein Tripel-Ko in Japan bis heute als böses Omen. Die Begebenheit ist allerdings nicht historisch belegt.

Ebensowenig weiß man sicher, ob Nobunaga oder Hideyoshi wirklich so passionierte Go-Spieler waren, wie die Go-Überlieferung behauptet. Ieyasu's Passion für Go ist hingegen in zeitgenössischen Tagebüchern belegt.

Von Tairano Nobunaga, den man auch Oda-Nobunaga nennt, erzählt man eine ähnliche Geschichte, welche zeigt, dass auch er, wie alle grossen Helden Japans, ein eifriger Gospieler war. Nobunaga kam im 10. Jahre Tensho, 1582, nach Kioto und lebte da im Tempel Honnoji. Er liess den berühmten Go-spieler Sansha kommen und spielte mit ihm bis Mitternacht, Sansha nahm Abschied, er hatte aber kaum das Haus verlassen, da brach schon die Empörung von Akechi Mitsuhide los. Schon vor Nobunaga fanden auch die Mönche und Dichler am Go Geschmack und viele berühmte Namen unter ihnen werden als Gospieler erwähnt.

Von Genki 1570-72, und Tensho, 1573-91 bis Keicho, 1596-1614 und Genna 1615-23, um das Jahr 1600 also, gab es unter den Mönchen, Dichtern, Bürgern und Kaufleuten viele, die durch ihre Kunst im Gospiel berühmt waren. Sie wurden an die Höfe der Daimio's und zu den Vornehmen gerufen, entweder um mit ihnen zu spielen oder häufig auch nur, um ihrem schönen Spiele zuzuschauen. Noch heute existirt diese Sitte. Freunde des Gospiels vereinigen sich und laden zwei berühmte Spieler ein, die dann vor ihnen spielen. Die Zuschauer entwickeln eine Andacht und Ruhe während der oft schrecklich langen Pausen, eine Bewunderung der geistvollen Züge der Spielenden, zeigen eine so ernsthafte Bemühung, in die Tiefe der Probleme einzudringen und sind überhaupt so völlig absorbirt durch den Vorgang, dass es mich immer wieder, wenn ich es sehe, mit Erstaunen erfüllt. Aehnliches findet man bei uns nur in den engen Schachzirkeln, während hier viel weitere Kreise dieses Interesse am Go entwickeln und Kenntniss desselben eigentlich mit zur feinen Bildung gehört. Dass für die Japaner guten Gospielern zuzuschauen eine Vergnügungsart ist, ist übrigens ein Beweis, dass sie ein hoch cultivirtes Volk sind, denn nur ein solches kann in einer so rein abstracten Sache, die frei von jedem Sinnenreiz ist, Genuss finden.

Am Anfang des 17. Jahrhunderts, als das Gospiel solche Verbreitung und Entwicklung fand, traten nach und nach eine ganze Reihe von sehr geschickten Gospielern auf, die alles, was bisher geleistet worden war, weit übertrafen. Die berühmtesten unter ihnen waren Honimbo Sansha Hoin, Nakamura Doseki, Hayashi Rigen, Inouye lnseki, Yasui Santetsu.

Laut der heutigen japanischen Go-Geschichte existierten Anfangs nur die Go-Schulen Honinbō und Yasui. Die Inoue führten sich später auf den hier erwähnten Nakamura Dōseki zurück, die Hayashi auf Kashio Rigen, Sansas beinahe ebenbürtigen Rivalen.

Tatsächlich dürften sich das System der vier Go-Schulen erst in der Enkelschüler­generation von Honinbo Sansa fest etabliert haben. Die Schulen wurden als eine Art Familienbetrieb geführt, die besten Schüler wurden adoptiert und übernahmen auch das Amt eines Familien­oberhaupts.

Honinbō Sansa, der auch unter dem Namen Nikkai bekannt war, lebte urspünglich als Mönch im Tempel Jakkō-ji in Kyoto (Korschelts "Shuku Koji" ist eine Falschlesung). Wie Rigen gehörte er dem Nichiren Buddhismus an. Hon'in-bō oder Honnin-bō war ursprünglich der Name eines Gebäudes innerhalb dieser Tempelanlage.

Sansa war im übrigen auch der Begründer einer Shōgi-Schule, die vom Shogunat gesponsort wurde.

Sansha war ursprünglich ein Mönch, der den Tempel Shuku-koji in Kioto als sein Eigenthum inne hatte. Dieser Tempel war einer der 16 Haupttempel der Secte Nichirenshu in Kioto. Sansha war von Jugend auf im Gospiel sehr geschickt. Nachdem er sein Amt aufgegeben hatte, bekam er die Erlaubniss, eine Go-schule (Go-dokoro) zu errichten und nannte sich dann Honimbo Sansha. Mit den drei berühmtesten Männern Japans, mit Nobunaga, Toyotomi Hideyoshi und Tokugawa Iyeyasu, stand er in häufigem Verkehr, sie liebten es, sich in den Mussestunden, die ihnen ihre politische Thätigkeit liess, durch Gospielen zu vergnügen. So begleitete er sie oft bei ihren Reisen und Feldzügen und war bei vielen Schlachten jener Zeit gegenwärtig. Die Go-schule, die Honimbo, wie schon erwähnt, eröffnete, war ein Privatunternehmen. Eine Staatsanstalt, in der Go gelehrt wurde, soll zuerst von Toyotomi Hideyoshi in der Periode Tensho (1573-1591) errichtet worden sein. Doch scheint sie keinen langen Bestand gehabt zu haben, denn Miyoshi spricht, leider ohne das Jahr der Gründung anzugeben, von einer anderen Staatsanstalt für Go, die vom Taikun, also von Tokugawa lyeyasu, errichtet wurde. Da lyeyasu im Jahre 1603 zur Herrschaft gelangte, so wird die Gründung der Go-in oder Go-Akademie wohl bald nachher stattgefunden haben. Honimbo Sansha als der beste Gospieler Japans wurde zum Leiter der Anstalt ernannt. Die anderen stärksten Meister wurden als Professoren mit gutem Gehalt angestellt. Honimbo, der Director, bekam 350 Tsubo Land und 200 Koku Reis per Jahr. Die besten Kräfte konnten sich nun, ledig der Sorge um den Lebensunterhalt, der Heranbildung der Schüler und der Weiterentwicklung des Spieles widmen. In beidem waren sie gleich erfolgreich. Ihre Schüler waren den alten, im Lande lebenden Gospielern weit überlegen. Sie trieben das Spiel erwerbsmässig und fanden entweder Anstellung als Hofgospieler bei den Daimio's oder zogen im Lande umher, wie es in jenen Zeiten auch die Dichter und Fechtmeister thaten, rastend und Unterricht gebend, wo sie gute Aufnahme fanden und mit den starken Spielern im Lande ihre Kräfte messend. Kamen sie dann in einen Ort, der ihnen gefiel, so liessen sie die Wanderjahre beendet sein und blieben da, um auch ferner als Lehrer ihren Broderwerb durch das Spiel zu finden. Bei der Gründung der Go-Akademie wurden ausser Honimbo noch die schon erwähnten Meister Hayashi, Inouye und Yasui als Lehrer berufen.

Der sogleich nach Honimbo oben angeführte Nakamura erscheint hier nicht wieder. Warum er übergangen wurde oder ob er beim ins Leben treten der Akademie schon gestorben war, ist nicht erwähnt. Jeder der vier Lehrer gründete seine Schule, die von den anderen unabhängig war. Es galt die Bestimmung, dass jeder Lehrer seinen besten Schüler adoptirte und dieser ihm nach seinem Tode in seiner Stellung nachfolgte. So waren die Lehrer am Go-in also immer Honimbo's, Inonye's, Hayashi's und Yasui's. Die besten Spieler der Go-in hatten jedes Jahr einmal vor dem Taikun zu erscheinen und vor ihm zu spielen. Damit die Ceremonie, die man Go-zen-go, das Vorspielen, nannte, nicht zu lange dauerte, wurden die Partieen vorher in Ruhe durchgearbeitet und einstudirt. Diese Sitte hat sich bis zur Abschaffung des Taikunat's (1868) erhalten, wo sie zugleich mit dem Go-Institut ihr Ende fand.

Rangsysteme
Dieser Abschnitt wirft ein interessantes Licht auf das japanische Einstufungssystem zu Korschelts Zeiten. Die Dan-Grade sind nach heutiger Erkenntnis allerdings keine Erfindung von Honinbo Sansa, sondern erst später entstanden.
Zu "Murase Shiho", eig. Murase Shūho, s.u.
"7 Steine vor": Laut dieser Selbsteinstufung würde Korschelts Go-Rang in etwa einem heutigen 1. Amateur-Dan entsprechen.

Honimbo Sansha schuf bei der Gründung der Akademie eine Einrichtung die noch heute fort besteht. Er gab den Gospielern Grade. Wer eine bestimmte Stärke im Go erreicht hatte, erhielt den Titel: Sho dan oder vom ersten Grade. Die noch stärkeren waren der Reihe nach Ni-dan, San-dan, Yo-dan, vom zweiten, dritten, vierten Grade u.s.w. Der höchste Grad, der jemals erreicht worden ist, ist Ku-dan, der neunte Grad. Ein Sho-dan ist schon ein sehr guter Spieler, so gut, dass er das Spiel berufsmässig treiben kann. Bei allen anderen Spielen würde eine solche Abstufung der Geschicklichkeit kaum möglich sein, beim Go jedoch ist dies statthaft, weil bei guten Spielern der auch nur wenig stärkere beinahe regelmässig gewinnt. Gliche man den Unterschied in der Stärke der Spieler nicht auf irgend eine Weise aus, so würde das Spiel sehr langweilig sein, weil der Schwächere seine sichere Niederlage stets voraussehen würde. Der stärkere Spieler giebt daher immer dem anderen so viele Steine vor, als nöthig sind, die beiden Spieler annähernd gleich zu machen. So giebt mein Lehrer, Herr Murase Shiho, der gegenwärtig der beste Spieler Japan's und vom siebenten Range, also Shichidan ist, mir 7 Steine vor und schlägt mich dabei meistens, während er beim Beginne des Unterrichts, als ich über die Anfangsgründe schon hinaus war, mir 13 Steine vorgab und mich trotzdem immer schlug. Mehr als 13 Steine pflegt man nicht vorzugeben. Brauchte man noch mehr, so wäre der Unterschied zu gross und das Spiel zu uninteressant.

Ein Spieler vom ersten Grade bekommt von einem vom siebenten Grade noch drei Steine vor. Die vorgegebenen Steine setzt man auf fest bestimmte Punkte des Gobretes auf, die durch kleine schwarze Kreise markirt sind. Man bekommt wenigstens zwei Steine vor, den einen, den derjenige vorbekommt, der die schwarzen Steine hat und daher anzieht, rechnet man nicht als vorgegeben und setzt ihn auf einen beliebigen Punkt auf. Sonst wird das Aufgeben der vorgegebenen Steine als ein Zug gerechnet.

Die Spieler vom siebenten Range nennt man Jo zu oder obere Hand, die Hachi-dan's oder die vom achten Range heissen kan-shu oder die Zwischenstufe und die vom neunten Range sind die mei-shu oder klare helle Hand, wohl auch meijin oder berühmte Leute. Seit der Einrichtung der Grade, in beinahe drei Jahrhunderten also, hat es nur 9 Leute gegeben, die vom neunten Range waren, ebenso nur 9 Leute vom achten Grade, dagegen sehr viele bereitss vom seibenten und noch viel mehr von jedem der geringeren Grade. Währen es jetzt nur einen Spieler vom siebenten Range giebt, sollen etwa 200 vom ersten Range in Japan vorhanden sein.

In China und Korea wird diese Rangordnung wohl unbekannt sein, dagegen ist sie auf den Liu-kiu Inseln im Gebrauche.

Wie es scheint, nehmen die japanischen Gospieler diese Rangordnung als ein festes, absolutes Maass, während es doch in der Natur der Sache liegt, dass es ein relatives, sich nach und nach verschiebendes sein muss und zwar muss sich das Maass im Laufe der Jahrhunderte nach oben hin verschieben. Die Spieler mit den hohen Rängen, die den nachrückenden Kräften die niederen Grade verleihen, wie man bei uns Doctoren macht, oder emporrückende Spieler von früher niederem Grade als ebenbürtig anzuerkennen haben, mögen noch so unparteiisch sein, so werden sie doch unwillkürlich die Neigung haben, den neuen Leuten die Sache elwas zu erschweren, weil für sie, wenn sie überholt werden oder wenn zu viel frische Concurrenz droht, das Höchste, was sie besitzen, auf dem Spiele steht, ihr Ruhm. Es wird einer dem anderen den gleichen Rang erst dann zusprechen, wenn der andere schon etwas stärker als er selbst geworden ist. Und wenn es auch noch so unparteiisch beim Promoviren zuginge, so werden ja alle Spieler gleichzeitig durch Uebung stärker, wenn auch der gegenseitige Abstand derselbe bleiben mag. Der Shichi-dan von heute wird in einem Jahre stärker sein, obgleich er dann immer noch Shichi-dan ist. Durch dieses Hinaufrücken eines Maassstabes muss es dahin gekommen sein, dass ein Spieler vom siebenten Range jetzt ebenso gut odor vielleicht besser spielt als einer vom achten oder neunten Range vor hundert oder zwei hundert Jahren. Dass es sich wirklich so verhält, dafür kann ich ein gutes Beispiel anführen.

"Liukiu" oder Ryūkyū ist der alte Name der heutigen Präfektur Okinawa, eine Inselgruppe im Süden der japanischen Hauptinseln, die vor 1868 ein eigenes Königreich darstellte. Satsuma ist die heutige japanische Präfektur Kagoshima im Süden Kyushus, geographisch und kulturell der nächste Nachbar von Ryūkyū/Okinawa.

Die Liukiu Inseln haben die Rangordnung vor langer Zeit, wahrscheinlich bald nach Einrichtung derselben, erhalten, sind dann wenigstens was Go anbetrifft, ausser Berührung mit Japan gekommen und erst vor zwei Jahren wieder einmal von einem Gospieler zweiten Ranges aus Satsuma besucht worden. In der Zwischenzeit von zwei Jahrhunderten bestand die Rangordnung von Liukiu ganz für sich. Da auf diesen Inseln gleichzeitig immer nur sehr wenig gute Spieler gewesen sein werden, so war die Gelegenheit, Ränge zu ertheilen und dabei das Maass nach oben zu verschieben viel seltener, als in Japan. Das Maass wird also in Liukiu zwar etwas, aber doch viel weniger nach oben hin verrückt worden sein, als auf den Hauptinseln. Das war auch in der That so. Der Satsumaner vom zweiten Rang fand in Liukiu einen Gospieler, welcher behauptete, der beste Spieler der Inseln und vom fünften Range zu sein. Der Satsumaner schlug ihn aber und bestimmte ihn als einen schwachen Spieler vom zweiten Hange. Er und alle anderen Gospieler von Range in Japan erklärten nun die Liukiu Leute für Prahler, weil sie sich höhere Rangstufen anmassten, als ihnen gebührten. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts nahm das Go-Spiel einen neuen Aufschwung; er fiel nach japanischer Zeitrechnung in die Perioden Bunka, 1804-1817, Bunsei, 1818-1829 und Tempo, 1830-1843. Die in dieser Zeit zusammengestellten Sammlungen von Beispielen gelten noch heute als musterhaft. Auch die Spielweise und die Eröffnungen dieser Zeit werden noch heute angewandt und sind durch nichts vollkommneres ersetzt. Die besten Beispielsammlungen stammen von Honimbo Dosaku, Yowa und Yasui Sanchi. Von denen aus neuerer Zeit sind die von Honimbo Shuwa hinterlassenen höchst interessant und gelten für das beste, was geleistet worden ist.

Go zu Korschelts Zeit
Erstaunlicherweise nennt Korschelt seinen Lehrer Murase Shūho hier "Murase Shohei" und bezeichnet ihn außerdem als Angehörigen des Hauses Inoue. Laut moderneren Biographien wurde Shūho dagegen eindeutig im Haus Honinbō groß. Korschelts "Staatstreich" bezeichnet wohl die Gründung einer neuen Go-Institution, der Hōensha (Vorläufer des Nihon Kiin). Murase wurde zwar als stärkster Spieler seiner Zeit zu ihrem Direktor gewählt, die ursprüngliche Initiative ging allerdings von anderen Spielern aus.

Interessant ist die Erwähnung des Staatsmannes Iwakura Tomomi (1825-1883). Er ging vor allem als Leiter der sog. Iwakura-Mission in die Geschichte ein, die 1871-73 eine Art diplomatischer Studienreise durch Europa und Amerika durchführte. Aus dieser Reise bezogen Japans Politiker zahlreiche Anregungen für die darauf folgende Modernisierung des Landes.

Im Jahre 1868 hörte die Go-Akademie und damit die Förderung des Spieles durch den Staat auf. Auch die Daimio's, die einige Jahre später depossedirt wurden, fühlten als Privatleute keine Veranlassung mehr, Hofgospieler anzustellen. Brach schon dadurch eine traurige Zeit für die Gomeister herein, die zum grössten Theile von ihrer Kunst lebten, so wurde die Zeit noch trauriger, weil auch das Volk das Interesse am Go verlor. Nach der Eröffnung des Landes wandte sich alles mit Enthusiasmus dem Fremden zu, man schätzte das Fremde höher, als das Einheimische, weil es neu war und vernachlässigte das von den Vätern Ueberliefterte. Seit einigen Jahren ist aber eine gesunde Reaktion gegen das allzu rasche Aufgeben berechtigter Eigenthümlichkeiten eingetreten und damit hat sich auch das Interesse am altnationalen Spiele wieder gefunden, so dass es jetzt ebenso eifrig gepflegt wird, als je zuvor. Die Jugend, die dem Studium der fremden Sprachen und Wissenschaften obliegt, spielt beinahe gar nicht, desto eifriger aber wird das Spiel von den Beamten getrieben. Die meisten der höchststehenden Staatsbeamten sind eifrige Spieler, als der beste Gospieler unten ihnen wird der Vice-premier Minister Iwakura genannt. Auch in der Armee, besonders aber in der Flotte wird viel gespielt. Die vier Goschulen von Honimbo, lnouye, Hayashi und Yasui bestanden nach 1868 noch weiter, obgleich die staatliche Förderung ihnen fehlte. Da führte im März 1879 Murase Shohei einen Staatsstreich aus, durch welchen die 250 Jahr alte Verfassung des Gowesens über den Haufen geworfen wurde. Er gehörte zur Schule Inouye, war aber stärker als der damalige Inhaber der Schule, der nur vom sechsten Range war, während er selber den siebenten Rang hatte. Die alten Formen hatten den Sinn verloren, so dass es keinen Zweck mehr für Murase hatte, auf eine inhaltlos gewordene Würde zu warten, um so mehr, da er den höchsten Ruhm, den er im Leben erreichen konnte, schon erreicht hatte, nämlich den, der beste Gospieler des Landes zu sein. Er trat desshalb im März 1879 aus der Schule Inouye aus und sammelte eine Anzahl guter Spieler um sich.

Monatlich einmal treffen sie zusammen und spielen, jeder nur eine Partie, deren Beendigung mitunter 24 Stunden ohne Unterbrechung in Anspruch nimmt. Murase veröffentlicht sodann die Partien unter Beigabe einiger kurzer kritischer Bemerkungen. Unter seinen Jüngern ist der bemerkenswertheste Nakamura vom sechsten Range. Seine Spielweise ist sehr geistreich und seine Partieen wie die von Murase enthalten häufig Probleme von grosser Schönheit. Er ragt besonders durch seine kühnen Angriffe hervor, während Murase in Angriff und Vertheidigung gleich ruhig und gemässigt bleibt. Während in Japan, zum guten Theil durch den Eingriff des Staates, das GospieI zu so hoher Entwicklung gelangt ist, scheint es in seinem Mutterlande China jetzt in Verfall zu sein. Die japanischen Spieler versichern, dass es in China keinen Spieler gebe, der an Stärke einem japanischen Spieler vom ersten Range gleichkäme. Es findet sich auch in der chinesischen Bibliographie von Möllendorff nicht eine Abhandlung über das Go erwähnt, während Abhandlungen über das chinesische Schach in ziemlicher Anzahl angeführt sind. Legten die Chinesen irgend welchen Werth auf das Spiel, so wäre sicher auch schon darüber geschrieben worden.

(1) Herr Miyoshi, Beamter im Finanzministerium, ein Kenner des Spiels und der chinesischen Literatur, hatte die Güte, auf meine Bitte hin eine Geschichte des Go zu schreiben, der die Angaben dieses Abschnittes entnommen sind.