Das "Go"-Spiel
Korschelts abwertende Beschreibung des Shōgi ist nicht ganz korrekt: Auch im Shōgi gab es in der Edo-Zeit ein dem Go vergleichbares Profi-System. Shōgi gilt jedoch noch heute in Japan als das "einfachere" Spiel und ist gleichzeitig weiter verbreitet.
In Japan sind von Alters her zwei Bretspiele üblich
gewesen. Das eine, Shogi, ist eine Art Schachspiel,
nur viel unvollkommener, als das europäische
Schach und ist bereits im 5ten Hefte der «Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur und Völkerkunde Ost-Asiens» von V. Holtz kurz beschrieben worden. Im Shogi giebt es ausser den Bauern
und dem König noch 6 Arten von Offizieren, die
aber in ihren Bewegungen sehr wenig Freiheit haben. Dies und besonders der Umstand, dass man
diejenigen Figuren, die man dem Gegner genommen hat, als
seine eigenen auf jedes beliebige leere
Feld wieder aufsetzen kann, wodurch natürlich
weiter gehende Pläne ganz unmöglich gemacht werden, stellen das Shogi weit unter das Schach. Doch
ist es noch weit edler, als die sonst bei uns üblichen Bretspiele, wie Dame oder Mühle. Die Kenntniss des Shogi ist in Japan sehr verbreitet, das Volk
spielt es eifrig und viel, wahrscheinlich, weil das
Kartenspielen streng verboten ist. Doch hat das
Shogi wohl nie eine systematische Behandlung erfahren, Shogi-Clubs hat es, wie schon V. Holtz erwähnt, niemals gegeben, auch sind mir keine Bücher
über Shogi bekannt geworden.
Go und Schach
Ganz anders verhält es sich mit dem zweiten japanischen Bretspiele,
dem Go. In den 11 Jahrhunderten, die verflossen sind, seit dieses
Spiel aus China herübergebracht wurde, haben die Japaner es immer eifrig
gepflegt. Sie haben die Chinesen in der Fertigkeit im Spiele längst
überholt und betrachten es als ihr Nationalspiel. Das grosse Interesse,
das die Japaner an dem Go nehmen, wird am besten durch die Thatsache
illustrirt, dass in den letzten dreihundert Jahren die Ausbildung und das
Studium des Go eine Staatsangelegenheit war. Es bestand in dieser
Zeit eine Go-Akademie, die besten Spieler waren gut besoldete Regierungsbeamte,
die die Kunst zu lehren und weiter zu entwickeln hatten. Die Akademie, die
im Jahre 1868 mit allen anderen Einrichtungen des Bakufu zusammenbrach,
hat ihre Aufgabe gut erfüllt. Sie hat eine reiche Literatur über
Go geschaffen und das Spiel so ausgebildet, dass es einen Vergleich
mit unserem Schach nicht zu scheuen braucht. Dass trotz des grossen Werthes
des Go noch keiner der hier lebenden Fremden sich eingehender mit
demselben beschäftigt hat, liegt wohl ausser an der unscheinbaren Aussenseite,
die das Spiel hat, an der grossen Mühe und dem bedeutenden Aufwande
von Zeit, welche es erfordert, um nur ein einigermaassen guter Spieler zu
werden.
Korschelts Lehrer, der in diesem Absatz erwähnte "erste Meister" Japans, wird weiter unten noch einmal erwähnt. Es handelt sich um Murase Shūho, der kurz vor seinem Tod, 1886, zum 18. Honinbō ernannt wurde.
Eine systematische Behandlung des Spiels, wie
wir sie in unseren Schachbüchern zu finden gewohnt
sind, findet sich in den Büchern über Go nicht.
Es sind nur Beispielsammlungen, mit wenigen und
sehr kurzen Randbemerkungen, in denen versichert
wird, dass der oder jener Zug gut oder schlecht sei.
Wie wahr diese Bemerkungen auch immer sein
mögen, so kann doch ein Anfänger aus denselben
gar keinen Nutzen ziehen, der kurze Weg des rasch
in den Kern der Sache eindringenden Selbststudiums
ist verschlossen und nur der langwierige der practischen Uebung und des Unterrichts durch einen Meister ist möglich. Eine lange Krankheit gab mir die
nöthige Zeit, um über den uninteressanten Anfang
hinwegzukommen und noch jetzt den Unterricht
des ersten Meisters in Japan weiter geniessend, bin
ich weit genug gelangt, um einzusehen, welch ein
edles und dem Schach ebenbürtiges Spiel das Go ist.
Ich bin überzeugt, dass es nur einer ausführlichen Beschreibung des Go bedarf, um das Spiel in Europa einzuführen. Unsere Schachkreise werden
erkennen, dass die geistreiche und tiefe Weise, in
der das Go gespielt werden kann, nur beim Schach
sich wiederfindet und das Go wird ohne Zweifel
bald neben dem Schach in Europa gepflegt werden.
Schach und Go sind beide Kriegsspiele. Die Kriegführung, die im Schach dargestellt wird, ist aber die
vergangener Zeiten, in denen der König mit in den
Kampf zog und durch seinen
Fall die Schlacht verloren zu sein pflegte und in denen Sieg oder Niederlage mehr durch die hervorragende Tapferkeit einzelner Edeln, als durch den Kampf des gemeinen
Volks oder durch strategische Bewegungen entschieden wurde. Das Go hingegen ist nicht blos das
Bild einer Schlacht, wie das Schach, sondern eines
ganzen Feldzuges und zwar eines Feldzuges moderner Art, in dem die strategischen Bewegungen
der Massen zuletzt den Sieg entscheiden. Schlachten werden stets mehrere, zugleich oder hinter
einander, ausgekämpft, feste Stellungen werden
belagert und genommen, ganze Armeen werden von
ihrer Rückzugslinie abgedrängt und gefangen genommen, wenn sie nicht rechtzeitig sich in uneinnehmbarem Stellungen verschanzen. Zum Kampf
mit der blanken Waffe kommt es nur selten, ganz
wie in den modernen Schlachten auch. Im Gegentheil ist es häufig ein Grund des Verlustes, dass man
zu frühe zum Nahekampf geschritten ist. Die überlegene Strategie sichert den Sieg.
Es ist schwer zu entscheiden, welches von beiden
Spielen grösseren Genuss bietet. Die Combinationen
des Go leiden denen des Schach gegenüher an einer
gewissen Monotonie, weil keine Figuren mit verschiedener Art der Bewegung vorhanden sind und
weil die Steine, einmal aufs Feld gesetzt, sich nicht
mehr bewegen. Doch wird das durch die grössere
Zahl der Combinationen und der Stellen, wo man
sich auf dem Bret bekämpft, wieder ausgeglichen.
Im Allgemeinen wird man sagen können, dass zwei
mittelmässige Spieler von etwa gleicher Stärke beim Go mehr Genuss finden werden, als beim Schach.
Beim Schach ist es ziemlich sicher, dass von zwei
solchen Spielern derjenige verlieren wird, dem
zuerst eine Figur genommen wird, ohne dass er
eine andere gleichwerthige dafür eintauscht. Das
weitere Spiel ist dann meistens nur noch ein erfolgloses Ankämpfen gegen sicheren Verlust. Der im
Vortheil befindliche Spieler hat sich dann nur zu
hüten, selbst einen Fehler zu machen, um Sieger
zu bleiben.
Beim Go dagegen macht ein grosser Verlust noch
lange nicht den Verlust des Spieles aus. Man begiebt sich dann auf ein anderes Schlachtfeld, wo
man durch die Niederlage, die man auf dem früheren
Schlachtfeld erlitten hat, meistens gar nicht beeinflusst wird, und kann da die erlittene Scharte wieder
auswetzen.
Eine besondere Schönheit des Gospiels, die das
Schach nicht hat, liegt darin, dass man grosse Verluste, die man während des Spiels erleidet, zu einem
Mittel machen kann, dafür auf einer anderen Stelle
des Brets oft ziemlich bedeutend Vortheile zu erringen (durch das sogenannte Ko). Ein Spiel ist um
so interessanter, je häufiger die Aussichten auf Sieg
oder Niederlage wechseln und je weniger man sicher
ist, das errungene Übergewicht, das den Sieg bedingt, auch bis zu Ende zu behaupten. Dieses
Schwanken der Chancen giebt ja den Kartenspielen
ihren Reiz. Beim Schach wechseln die Chancen
nicht oft, nur selten mehr als zweimal, beim Go dagegen viel häufiger. Gerade am Ende des Spieles
wird beim Go oft nahezu im letzten Momente durch
ein geistreiches Manöver die schon ganz sicher
scheinende Niederlage in Sieg verkehrt. So wird
das Go, obgleich es ebenso wie das Schach ein Spiel
ist, in dem die Zufälle des Glücks gar nicht, sondern
nur Umsicht und Scharfsinn entscheiden, dennoch
mit mehr Leidenschaft gespielt werden können, als
das Schach und darum interessanter als dieses sein.
Geschichte des «Go»
Chinesischer Ursprung des Spiels
Go ist das älteste aller bekannter Spiele (1). Es finden sich in den alten chinesischen Werken drei
Personen als Erfinder des Go genannt, von denen
dem einen in Japan ganz allgemein die Erfindung
zugeschrieben wird. Das ist der berühmte chinesische Kaiser Shun, der von 2255-2206 v. Chr.
regiert hat. Darnach wäre das Spiel 41 Jahrhunderte alt. Er erfand das Spiel, heisst es, um die
schwachen Verstandeskräfte seines Sohnes Shokin sich daran kräftigen zu lassen. Andere bezeichnen
den Vorgänger des Shun, den Kaiser Gio, chinesische Aussprache Yao, der von 2357-2256 v. Chr.
regierte, als den Erfinder.
Während Korschelts japanische Informanten zu dieser Zeit sicher noch von der realen Existenz der chinesischen Kaiser Yao und Shun überzeugt waren, gelten sie heute als legendäre Figuren. Korschelt übt zwar an der Historizität der Legenden über den Ursprung des Go Kritik, nicht aber an den mit diesen Legenden verbundenen Zeitangaben. Dieser "blinde Fleck" findet sich noch heute in einführenden Darstellungen, die dem Spiel ein Alter von "etwa 4000 Jahren" zuschreiben.
Die Legenden von Yao und Shun sind in der Go-Geschichte allgemein bekannt, den dritten Kaiser, "Kieh Kwei" findet man unter diesem Namen wahrscheinlich nur in der westlichen Go Literatur erwähnt. Heute wird er Di Jieoder Xia Jie genannt. Er gilt in der chinesischen Geschichtsschreibung als Inbegriff eines sadistischen Tyrannen, dessen untugendhaftes Verhalten zum Untergang der Xia Dyanstie führte. Ich würde vermuten, dass die Legende, Go sei zusammen mit dem "Kartenspiel" (wohl eher Würfelspiel) unter der Herrschaft dieses Despoten erfunden worden, von konfuzianischen Moralisten stammt, die Brettspiele grundsätzlich ablehnten, da sie zum Wetten verleiten.
Das würde das Alter des Spiels noch um ein Jahrhundert, also auf 42
Jahrhunderte erhöhen. Die dritte Angabe ist, das U, ein Vasall
des Kaisers Ketsu, chinesische Aussprache: Kieh Kwei,
1818-1767 v. Chr. der Erfinder des Go war. Derselbe wird auch als
Erfinder des Kartenspiels bezeichnet. Das Go wäre
dann beinahe 37 Jahrhunderte alt. Miyoshi meint, dass wahrscheinlich doch
Gio oder Shun die Erfinder seien und dass U das Spiel nachträglich
noch einmal erfunden habe, was ja bekanntlich häufig geschieht. Ich
bin dagegen geneigt, die dritte Angabe als die zuverlässigere zu betrachten,
einmal, weil die Erfindung dann jünger wird, zweitens weil U ein Vasall
und kein Kaiser ist. Kaiser haben weder Zeit noch Gelegenheit, Erfindungen
zu machen, das wird in jenen alten Zeiten nicht anders gewesen sein. Von
allen Detailangaben abgesehen, sagt Miyoshi weiter, und obgleich man mit
Recht viele von den Nachrichten über jene alten Zeiten bezweifeln müsse,
so sei es doch ganz sicher, dass das Go schon im hohen Alterthume
in China bekannt gewesen sei. Als Beweis führt er eine Reihe von alt
chinesischen Werken an, von denen die älteren etwa 1000 Jahre v. Chr.,
also etwa 1300 Jahre nach Gio und Shun geschrieben sind und in denen beiläufig
und in Gleichnissen das Go erwähnt ist, so dass es damals
schon eine ganz bekannte Sache gewesen sein muss. Die oben mitgetheilten
Angaben über die Zeit der Erfindung des Go werden dadurch
in der That glaubhaft.
Auch vom Schach hat man bekanntlich früher angenommen, dass es ein ungeheures Alter habe,
indem man ein indisches Würfelspiel, bei dem vier
Personen mit je acht Figuren (König, Elefant, Ross,
Fusskämpfer) auf einem Brete spielten und durch
Wurf bestimmt wurde, welche Figur zu ziehen habe,
mit dem Schach, das später aus ihm entstand, verwechselte. Das Schach entstand erst um das Jahr
500 unserer Zeitrechnung, doch hatten die Figuren
zum Theil noch sehr unfreie Bewegung, erst vor
400 Jahren erlangte das Schach seine heutige
Gestalt. Es liegt nun sehr nahe, anzunehmen, dass
beim Go eine ähnliche Entwicklung zu immer grösserer Vollkommenheit stattgefunden habe und dass
also dem Go, wie es jetzt gespielt wird, nicht das kollossale Alter von rund 4000 Jahren zugeschrieben
werden könne. Bei der beispiellosen Einfachheit
der Regeln des Gospiels lässt sich aber eine solche
Annahme der Fortentwicklung des Spiels nicht machen. Man sehe die Spielregeln im nächsten Abschnitte nach, um sich davon zu überzeugen, dass
es in der That wenig Spiele geben wird, deren
Regeln einfacher wären. Nur in einer Hinsicht werden Verbesserungen des Spiels stattgefunden
haben, man wird nur allmählig zu der jetzigen,
wahrscheinlich am besten dem Zwecke entsprechenden Grösse des Bretes mit 19x19 Punkten und
damit zusammenhängend zu der jetzigen Anzahl der
Steine gelangt sein. Derartige Abänderungen bedingen aber nicht eine Aenderung des Characters
des Spieles, ebenso wenig wie man ein neues Spiel
schuf, als man vor 40 Jahren einigen Figuren im
Schach andere Bewegungen gab. So hat es also
dabei zu verbleiben, dass das Gospiel 4000 Jahre
alt und das älteste Spiel der Welt ist.
Miyoshi erzählt weiter, dass in China von etwa
200 v. Chr. bis 600 n. Chr. Dichtkunst und Gospiel
gleichzeitig in hoher Blüthe gestanden hätten.
Ein Dichter Bayu, der um das Jahr 240 n. Chr.
lebte, machte sich durch Gedichte berühmt, in denen er das Gospiel verherrlichte.
Als etwas merkwürdiges findet sich in den alten
Büchern verzeichnet, dass im 3. Jahrhundert n. Chr.
ein Mann mit Namen Osan so geschickt im Go war,
dass er eine eben gespielte Partie einreissen und
aus dem Gedächtniss richtig wieder aufsetzen konnte.
Dies ist insofern von Interesse, als es zeigt, dass die
Schulung des Gedächtnisses im Laufe der Zeit dasselbe für die Stellungen beim Go viel stärker gemacht hat. Es giebt jetzt Hunderte von Gospielern
in Japan, die eine fertig gespielte Partie noch einmal Zug für Zug wieder aufsetzen können. Es ist
sogar Regel, wenn man mit einem Lehrer des Go spielt, dass dieser jede Partie noch einmal vorspielt,
und dabei das Spiel des Schülers kritisirt.
Der von Korschelt hervorgehobene Ehrentitel kisei
wird seit 1976 dem Gewinner des höchstdotierten japanischen Go-Tourniers
(Kisei-sen) zuerkannt.
Aus der altchinesischen Zeit haben sich viele das
Gospiel betreffende Anecdoten erhalten, von denen
nur eine erwähnt werden mag, welche recht gut
zeigt, wie hoch geschätzt das Spiel wurde. Sha an,
ein Mann, der zur Zeit der Dynastie der Tsin, 265-
419 v. Chr. lebte, führte Krieg mit seinem Neffen
Shagen. Des Mordens müde, liessen sie den Sieg
durch eine Partie Go entschieden werden, die sie
mit einander spielten. Die geschicktesten Spieler
ehrte man durch den Titel Ki-sei oder Ki-sen, von
Ki = Gospiel und Sei = Heiliger, sowie Sen = in
den Bergen lebendes Zauberwesen.
Zur Zeit der Dynastie der Tang 618-906 sowie der Dynastie der
Sung 960-1126 wurden die ersten Bücher über das Gospiel
geschrieben, so das Gokio und das Gosetsu. Auch in dieser
Zeit blühte das Gospiel in China und gab es ausgezeichnete Spieler
in Menge.
Japanische Go-Geschichte
Die Ära "Tempei Shoho" wird heute als Tenpyō-shōhō (749–757) bezeichnet; Kōken Tennō war eine Frau; "Kibidaijin" (Minister Kibi) ist heute besser als Kibi no Makibi (695–775) bekannt. Dennoch erstaunt die Akribie, mit der Korschelt die Daten seiner japanischen Informanten aufzeichnet und umrechnet.
Korschelts Maßnahme gegen das sog. "Spiegelgo" funktioniert
natürlich nur, wenn der anziehende Spieler gespiegelt wird. Wahrscheinlich
setzte der japanische Prinz aber den ersten Stein in die Mitte
und spiegelte dann die Züge des Gegners.
Nach japanischer Zeitrechnung im 6. Jahre Tempei Shoho
unter der Herrschaft des Kaisers Koken tenno, als man in
China das Jahr Tien Tao zählte und der Kaiser Hiüan Tsung regierte,
wurde das Go nach Japan gebracht und damit eine neue Epoche für
das Gospiel eröffnet. Das geschah nach unserer Rechnung im Jahr 754.
Der in der Geschichte Japans auch sonst bekannte Kibidaijin
wurde damals als Gesandter nach China geschickt und brachte das Spiel nach
Japan zurück. Doch verbreitete es sich da anfangs nur sehr langsam.
So wird erwähnt, dass noch 100 Jahre später die Zahl der Gospieler
unter den Edlen, auf welche die Kenntniss des Spieles beschränkt blieb,
eine äußerst geringe war. In den nengo's Kasho (849-851) und
Jisho (852-854) hielt sich ein japanischer Prinz in China auf und spielte
da viel Go. Der beste Spieler in China mit Namen Koshigen war sein
Lehrer. Auf diesen Prinzen wird sich die Anecdote beziehen, die ich häufig
habe erzählen hören. Da man, um ihn zu ehren, ihm immer die besten
Spieler gegenübersetzte, so verfiel er, um doch endlich einmal zu siegen,
auf den Ausweg, seine Steine genau ebenso zu setzen, wie sein Gegner, d.h.
wenn dieser einen Punkt besetzte, so besetzte er den zu diesem symmetrisch
gelegenen und gewann dadurch. Wenn die chinesischen Meister wirklich sich
durch diese Spielweise verblüffen liessen und den sehr einfachen Gegenzug
nicht fanden, so müssen sie sehr schlechte Spieler gewesen sein. Man
braucht nämlich nur den Punkt in der Mitte zu spielen,
zu dem es keinen symmetrischen Punkt giebt oder das Spiel so einzurichten,
dass man die um die Mitte gesetzten Steine des Gegners nehmen kann, dann
kann der Gegner nicht wieder nehmen und das symmetrische Spiel hört
auf.
Um das Jahr 850 war Wakino Ason Sadaomi als ein grosser Freund des Go berühmt. Tag und
Nacht hindurch spielte er und war er ins Spiel
vertieft, so vergass er alles andere absolut.
"Kiyowara no Mahira" wird von der heutigen Forschung Kiyohara no Sanehira genannt. Er entstammte einem der frühen Samuraigeschlechter, die sich aus den permanenten Grenzkriegen mit den sogenannten Emishi im Norden Japans herausbildeten. Die hier erwähnte Anekdote ist sehr interessant, wird aber in der gängigen japanischen Go-Geschichte kaum noch erwähnt.
In den nächsten beiden Jahrhunderten verbreitete die Kenntniss des Spiels sich nicht über den Hof von Kioto hinaus. Es scheint sogar verboten gewesen zu sein, Go anderswo als am Hofe zu spielen. Miyoshi erzählt wenigstens, dass zur Zeit Otoku (1084-1086) der Fürst von Dewa, Kiyowara no Mahira das
Gospiel heimlich in Oshu und Dewa eingeführt und
mit seinen Vasallen gespielt habe. Von da an
wurde nicht blos die Zahl der Edeln, die das Spiel
trieben, rasch grösser, sondern auch die Wohlhabenden im Volke fingen jetzt an, das Go zu studiren.
Am Anfange des 13. Jahrhunderts war das Go unter dem Kriegerstande allgemein bekannt und
wurde mit Leidenschaft gespielt. Von den berühmten Feldherren jener Zeit bis herunter zum gemeinen Soldaten spielten alle Go, die in den Krieg
zogen. Das Gobret und die Steine führten sie in
den Feldzügen mit sich, war die Schlacht vorüber,
so wurde das Bret hervorgeholt und der friedliche
Kampf begann.
In Kamakura, das Minamoto no Yoritomo 1186
zur Residenz erhoben hatte, spielte Hojo Yoshitoshi gerade mit einem Gaste Go, als die Nachricht von
der Empörung des Wada Yoshimori anlangte.
Yoshitoki beendigte das Spiel in aller Ruhe und traf
dann erst seine Massregeln zur Niederwerfung des
Aufruhrs. Das war im ersten Jahre Kempo (1213).
Go-Schulen der Edo-Zeit
Oda Nobunaga (1534-82), Toyotomi Hideyoshi (1536?-98) und Tokugawa Ieyasu (1543-1616) gelten als die "drei Reichseiniger" am Ende von Japans "Zeit der kämpfenden Länder" (sengoku jidai).
"Sansha" ist heute als Honinbo Sansa bekannt. Die Episode von der Go-Partie vor der Ermordung Nobunagas lautet genau genommen folgendermaßen: Nobunaga ließ Sansa gegen seinen Rivalen Rigen eine Partie austragen, die in einem Tripel-Ko und daher unentschieden endete. Da Nobunaga in der gleichen Nacht ermordet wurde, gilt ein Tripel-Ko in Japan bis heute als böses Omen. Die Begebenheit ist allerdings nicht historisch belegt.
Ebensowenig weiß man sicher, ob Nobunaga oder Hideyoshi wirklich so passionierte Go-Spieler waren, wie die Go-Überlieferung behauptet.
Ieyasu's Passion für Go ist hingegen in zeitgenössischen Tagebüchern belegt.
Von Tairano Nobunaga, den man auch Oda-Nobunaga nennt, erzählt man eine ähnliche Geschichte,
welche zeigt, dass auch er, wie alle grossen Helden
Japans, ein eifriger Gospieler war. Nobunaga kam
im 10. Jahre Tensho, 1582, nach Kioto und lebte
da im Tempel Honnoji. Er liess den berühmten Go-spieler Sansha kommen und spielte mit ihm bis
Mitternacht, Sansha nahm Abschied, er hatte aber
kaum das Haus verlassen, da brach schon die Empörung von Akechi Mitsuhide los. Schon vor Nobunaga fanden auch die Mönche und Dichler am Go Geschmack und viele berühmte Namen unter ihnen
werden als Gospieler erwähnt.
Von Genki 1570-72, und Tensho, 1573-91 bis
Keicho, 1596-1614 und Genna 1615-23, um das
Jahr 1600 also, gab es unter den Mönchen, Dichtern,
Bürgern und Kaufleuten viele, die durch ihre Kunst
im Gospiel berühmt waren. Sie wurden an die
Höfe der Daimio's und zu den Vornehmen gerufen,
entweder um mit ihnen zu spielen oder häufig auch
nur, um ihrem schönen Spiele zuzuschauen. Noch
heute existirt diese Sitte. Freunde des Gospiels
vereinigen sich und laden zwei berühmte Spieler
ein, die dann vor ihnen spielen. Die Zuschauer
entwickeln eine Andacht und Ruhe während der oft
schrecklich langen Pausen, eine Bewunderung der
geistvollen Züge der Spielenden, zeigen eine so
ernsthafte Bemühung, in die Tiefe der Probleme
einzudringen und sind überhaupt so völlig absorbirt
durch den Vorgang, dass es mich immer wieder,
wenn ich es sehe, mit Erstaunen erfüllt. Aehnliches
findet man bei uns nur in den engen Schachzirkeln,
während hier viel weitere Kreise dieses Interesse
am Go entwickeln und Kenntniss desselben eigentlich mit zur feinen Bildung gehört. Dass für die
Japaner guten Gospielern zuzuschauen eine Vergnügungsart ist, ist übrigens ein Beweis, dass sie
ein hoch cultivirtes Volk sind, denn nur ein solches
kann in einer so rein abstracten Sache, die frei von
jedem Sinnenreiz ist, Genuss finden.
Am Anfang des 17. Jahrhunderts, als das Gospiel
solche Verbreitung und Entwicklung fand, traten
nach und nach eine ganze Reihe von sehr geschickten Gospielern auf, die alles, was bisher geleistet
worden war, weit übertrafen. Die berühmtesten
unter ihnen waren Honimbo Sansha Hoin, Nakamura Doseki, Hayashi Rigen, Inouye lnseki, Yasui Santetsu.
Laut der heutigen japanischen Go-Geschichte existierten Anfangs nur die Go-Schulen Honinbō und Yasui. Die Inoue führten sich später auf den hier erwähnten Nakamura Dōseki zurück, die Hayashi auf Kashio Rigen, Sansas beinahe ebenbürtigen Rivalen.
Tatsächlich dürften sich das System der vier Go-Schulen erst in der Enkelschülergeneration von Honinbo Sansa fest etabliert haben. Die Schulen wurden als eine Art Familienbetrieb geführt, die besten Schüler wurden adoptiert und übernahmen auch das Amt eines Familienoberhaupts.
Honinbō Sansa, der auch unter dem Namen Nikkai bekannt war, lebte urspünglich als Mönch im Tempel Jakkō-ji in Kyoto (Korschelts "Shuku Koji" ist eine Falschlesung). Wie Rigen gehörte er dem Nichiren Buddhismus an. Hon'in-bō oder Honnin-bō war ursprünglich der Name eines Gebäudes innerhalb dieser Tempelanlage.
Sansa war im übrigen auch der Begründer einer Shōgi-Schule, die vom Shogunat gesponsort wurde.
Sansha war ursprünglich ein Mönch, der den
Tempel Shuku-koji in Kioto als sein Eigenthum
inne hatte. Dieser Tempel war einer der 16 Haupttempel der Secte Nichirenshu in Kioto. Sansha
war von Jugend auf im Gospiel sehr geschickt. Nachdem er sein Amt aufgegeben hatte, bekam er die
Erlaubniss, eine Go-schule (Go-dokoro) zu errichten
und nannte sich dann Honimbo Sansha. Mit den
drei berühmtesten Männern Japans, mit Nobunaga, Toyotomi Hideyoshi und Tokugawa Iyeyasu, stand
er in häufigem Verkehr,
sie liebten es,
sich in den
Mussestunden, die ihnen ihre politische Thätigkeit
liess, durch Gospielen zu vergnügen. So begleitete
er sie oft bei ihren Reisen und Feldzügen und war
bei vielen Schlachten jener Zeit gegenwärtig. Die Go-schule, die Honimbo, wie schon erwähnt, eröffnete, war ein Privatunternehmen. Eine Staatsanstalt, in der Go gelehrt
wurde, soll zuerst von Toyotomi Hideyoshi in der Periode Tensho (1573-1591) errichtet worden sein. Doch scheint sie
keinen langen Bestand gehabt zu haben, denn Miyoshi spricht, leider ohne das Jahr der Gründung anzugeben, von einer anderen Staatsanstalt für Go, die vom Taikun, also von Tokugawa lyeyasu, errichtet
wurde. Da lyeyasu im Jahre 1603 zur Herrschaft gelangte, so wird die Gründung der Go-in oder Go-Akademie wohl bald nachher stattgefunden haben. Honimbo Sansha als der beste Gospieler Japans
wurde zum Leiter der Anstalt ernannt. Die anderen stärksten Meister wurden als Professoren mit
gutem Gehalt angestellt. Honimbo, der Director,
bekam 350 Tsubo Land und 200 Koku Reis
per Jahr. Die besten Kräfte konnten sich nun,
ledig der Sorge um den Lebensunterhalt, der Heranbildung der Schüler und der Weiterentwicklung des Spieles widmen. In beidem waren sie
gleich erfolgreich. Ihre Schüler waren den alten,
im Lande lebenden Gospielern weit überlegen. Sie
trieben das Spiel erwerbsmässig und fanden entweder Anstellung als Hofgospieler bei den Daimio's
oder zogen im Lande umher, wie es in jenen Zeiten
auch die Dichter und Fechtmeister thaten, rastend
und Unterricht gebend, wo sie gute Aufnahme fanden und mit den starken Spielern im Lande ihre
Kräfte messend. Kamen sie dann in einen Ort, der
ihnen gefiel, so liessen sie die Wanderjahre beendet
sein und blieben da, um auch ferner als Lehrer
ihren Broderwerb durch das Spiel zu finden. Bei
der Gründung der Go-Akademie wurden ausser Honimbo noch die schon erwähnten Meister Hayashi, Inouye und Yasui als Lehrer berufen.
Der sogleich nach Honimbo oben angeführte Nakamura erscheint hier nicht wieder. Warum er übergangen wurde oder ob er beim ins Leben treten der
Akademie schon gestorben war, ist nicht erwähnt. Jeder der vier Lehrer gründete seine Schule, die
von den anderen unabhängig war. Es galt die Bestimmung, dass jeder Lehrer seinen besten Schüler
adoptirte und dieser ihm nach seinem Tode in
seiner Stellung nachfolgte. So waren die Lehrer
am Go-in also immer Honimbo's, Inonye's, Hayashi's
und Yasui's. Die besten Spieler der Go-in hatten
jedes Jahr einmal vor dem Taikun zu erscheinen
und vor ihm zu spielen. Damit die Ceremonie, die
man Go-zen-go, das Vorspielen, nannte, nicht zu
lange dauerte, wurden die Partieen vorher in Ruhe
durchgearbeitet und einstudirt. Diese Sitte hat sich
bis zur Abschaffung des Taikunat's (1868) erhalten,
wo sie zugleich mit dem Go-Institut ihr Ende fand.
Rangsysteme
Dieser Abschnitt wirft ein interessantes Licht auf das japanische Einstufungssystem zu Korschelts Zeiten. Die Dan-Grade sind nach heutiger Erkenntnis allerdings keine Erfindung von Honinbo Sansa, sondern erst später entstanden.
Zu "Murase Shiho", eig. Murase Shūho, s.u.
"7 Steine vor": Laut dieser Selbsteinstufung würde Korschelts Go-Rang in etwa einem heutigen 1. Amateur-Dan
entsprechen.
Honimbo Sansha schuf bei der Gründung der
Akademie eine Einrichtung
die noch heute fort
besteht. Er gab den Gospielern Grade. Wer eine
bestimmte Stärke im Go erreicht hatte, erhielt den
Titel: Sho dan oder vom ersten Grade. Die noch
stärkeren waren der Reihe nach Ni-dan, San-dan, Yo-dan, vom zweiten, dritten,
vierten Grade u.s.w.
Der höchste Grad, der jemals erreicht worden ist,
ist Ku-dan, der neunte Grad. Ein Sho-dan ist
schon ein sehr guter Spieler, so gut, dass er das Spiel
berufsmässig treiben kann. Bei allen anderen
Spielen würde eine solche Abstufung der Geschicklichkeit kaum möglich sein, beim Go jedoch ist
dies statthaft, weil bei guten Spielern der auch nur
wenig stärkere beinahe regelmässig gewinnt. Gliche
man den Unterschied in der Stärke der Spieler
nicht auf irgend eine Weise aus, so würde das
Spiel sehr langweilig sein, weil der Schwächere
seine sichere Niederlage stets voraussehen würde.
Der stärkere Spieler giebt daher immer dem anderen
so viele Steine vor, als nöthig sind, die beiden
Spieler annähernd gleich zu machen. So giebt
mein Lehrer, Herr Murase Shiho, der gegenwärtig
der beste Spieler Japan's und vom siebenten Range,
also Shichidan ist, mir 7 Steine vor und schlägt
mich dabei meistens, während er beim Beginne des
Unterrichts, als ich über die Anfangsgründe schon
hinaus war, mir 13 Steine vorgab und mich trotzdem immer schlug. Mehr als 13 Steine pflegt man
nicht vorzugeben. Brauchte man noch mehr, so
wäre der Unterschied zu gross und das Spiel zu
uninteressant.
Ein Spieler vom ersten Grade bekommt von einem
vom siebenten Grade noch drei Steine vor. Die vorgegebenen Steine setzt man auf fest bestimmte Punkte des Gobretes auf, die durch kleine schwarze
Kreise markirt sind. Man bekommt wenigstens
zwei Steine vor, den einen, den derjenige vorbekommt, der die schwarzen Steine
hat und daher
anzieht, rechnet man nicht als vorgegeben und setzt
ihn auf einen beliebigen Punkt auf. Sonst wird
das Aufgeben der vorgegebenen Steine als ein Zug
gerechnet.
Die Spieler vom siebenten Range nennt man Jo zu oder obere Hand, die Hachi-dan's oder die vom
achten Range heissen kan-shu oder die Zwischenstufe und die vom neunten Range sind die mei-shu oder klare helle Hand, wohl auch meijin oder berühmte Leute. Seit der Einrichtung der Grade, in beinahe drei Jahrhunderten also, hat es nur 9 Leute
gegeben, die vom neunten Range waren, ebenso nur
9 Leute vom achten Grade, dagegen sehr viele
bereitss vom seibenten und noch viel mehr von jedem
der geringeren Grade. Währen es jetzt nur einen
Spieler vom siebenten Range giebt, sollen etwa 200
vom ersten Range in Japan vorhanden sein.
In China und Korea wird diese Rangordnung
wohl unbekannt sein,
dagegen ist sie auf den Liu-kiu Inseln im Gebrauche.
Wie es scheint, nehmen die japanischen Gospieler
diese Rangordnung als
ein festes, absolutes Maass,
während es doch in der Natur der Sache liegt, dass
es ein relatives, sich nach und nach verschiebendes
sein muss und zwar muss sich das Maass im Laufe
der Jahrhunderte nach oben hin verschieben. Die
Spieler mit den hohen Rängen, die den nachrückenden Kräften die niederen Grade verleihen, wie man
bei uns Doctoren macht, oder emporrückende Spieler von früher niederem Grade als ebenbürtig anzuerkennen haben, mögen noch so unparteiisch sein,
so werden sie doch unwillkürlich die Neigung
haben,
den neuen Leuten die Sache elwas zu erschweren, weil für sie, wenn sie überholt werden oder wenn
zu
viel frische Concurrenz droht, das Höchste, was
sie besitzen, auf dem Spiele steht, ihr Ruhm. Es
wird einer dem anderen den gleichen Rang erst
dann zusprechen, wenn der andere schon etwas
stärker als er selbst geworden ist. Und wenn es
auch noch so unparteiisch beim Promoviren zuginge,
so werden ja alle Spieler gleichzeitig durch Uebung
stärker, wenn auch der gegenseitige Abstand derselbe bleiben mag. Der Shichi-dan von heute wird
in einem Jahre stärker sein, obgleich er dann immer
noch Shichi-dan ist. Durch dieses Hinaufrücken eines
Maassstabes muss es dahin gekommen sein, dass
ein Spieler vom siebenten Range jetzt ebenso gut
odor vielleicht besser spielt als einer vom achten oder
neunten Range vor hundert oder zwei hundert Jahren.
Dass es sich wirklich so verhält, dafür kann ich ein
gutes Beispiel anführen.
"Liukiu" oder Ryūkyū ist der alte Name der heutigen Präfektur Okinawa, eine Inselgruppe im Süden der japanischen Hauptinseln, die vor 1868 ein eigenes Königreich darstellte. Satsuma ist die heutige japanische Präfektur Kagoshima im Süden Kyushus, geographisch und kulturell der nächste Nachbar von Ryūkyū/Okinawa.
Die Liukiu Inseln haben
die Rangordnung vor langer Zeit, wahrscheinlich
bald nach Einrichtung derselben, erhalten, sind
dann wenigstens was Go anbetrifft, ausser Berührung
mit Japan gekommen und erst vor zwei Jahren wieder einmal von einem Gospieler zweiten Ranges aus
Satsuma besucht worden. In der Zwischenzeit von
zwei Jahrhunderten bestand die Rangordnung von
Liukiu ganz für sich. Da auf diesen Inseln gleichzeitig immer nur sehr wenig gute Spieler gewesen
sein werden, so war die Gelegenheit, Ränge zu ertheilen und dabei das Maass nach oben zu verschieben viel seltener, als in Japan. Das
Maass wird
also in Liukiu zwar etwas, aber doch viel weniger
nach oben hin verrückt worden sein, als auf den
Hauptinseln. Das war auch in der That so. Der
Satsumaner vom zweiten Rang fand in Liukiu einen
Gospieler, welcher behauptete, der beste Spieler der
Inseln und vom fünften Range zu sein. Der Satsumaner schlug ihn aber und bestimmte ihn als einen
schwachen Spieler vom zweiten Hange. Er und
alle anderen Gospieler von Range in Japan erklärten
nun die Liukiu Leute für Prahler, weil sie sich
höhere Rangstufen anmassten, als ihnen gebührten.
In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts nahm das Go-Spiel einen neuen Aufschwung; er fiel nach japanischer Zeitrechnung in die Perioden Bunka,
1804-1817, Bunsei, 1818-1829 und Tempo, 1830-1843. Die in dieser Zeit zusammengestellten Sammlungen von Beispielen gelten noch heute als musterhaft. Auch die Spielweise und die Eröffnungen
dieser Zeit werden noch heute angewandt und sind
durch nichts vollkommneres ersetzt. Die besten
Beispielsammlungen stammen von Honimbo Dosaku, Yowa und Yasui Sanchi. Von denen aus neuerer
Zeit sind die von Honimbo Shuwa hinterlassenen
höchst interessant und gelten für das beste, was
geleistet worden ist.
Go zu Korschelts Zeit
Erstaunlicherweise nennt Korschelt seinen Lehrer Murase Shūho hier "Murase Shohei" und bezeichnet ihn außerdem als Angehörigen des Hauses Inoue. Laut moderneren Biographien wurde Shūho dagegen eindeutig im Haus Honinbō groß. Korschelts "Staatstreich" bezeichnet wohl die Gründung einer neuen Go-Institution, der Hōensha (Vorläufer des Nihon Kiin). Murase wurde zwar als stärkster Spieler seiner Zeit zu ihrem Direktor gewählt, die ursprüngliche Initiative ging allerdings von anderen Spielern aus.
Interessant ist die Erwähnung des Staatsmannes Iwakura Tomomi (1825-1883). Er ging vor allem als Leiter der sog. Iwakura-Mission in die Geschichte ein, die 1871-73 eine Art diplomatischer Studienreise durch Europa und Amerika durchführte. Aus dieser Reise bezogen Japans Politiker zahlreiche Anregungen für die darauf folgende Modernisierung des Landes.
Im Jahre 1868 hörte die Go-Akademie und damit die Förderung des Spieles
durch den Staat auf. Auch die Daimio's, die einige
Jahre später depossedirt wurden, fühlten als Privatleute keine Veranlassung mehr, Hofgospieler anzustellen. Brach schon dadurch eine traurige Zeit
für die Gomeister herein, die zum grössten Theile
von ihrer Kunst lebten, so wurde die Zeit noch
trauriger, weil auch das Volk das Interesse am Go verlor. Nach der Eröffnung des Landes wandte sich
alles mit Enthusiasmus dem Fremden zu, man
schätzte das Fremde höher, als das Einheimische,
weil es neu war und vernachlässigte das von den
Vätern Ueberliefterte. Seit einigen Jahren ist aber
eine gesunde Reaktion gegen das allzu rasche Aufgeben berechtigter Eigenthümlichkeiten eingetreten
und damit hat sich auch das Interesse am altnationalen Spiele wieder gefunden, so dass es jetzt ebenso
eifrig gepflegt wird, als je zuvor. Die Jugend, die
dem Studium der fremden Sprachen und Wissenschaften obliegt, spielt beinahe gar nicht, desto
eifriger aber wird das Spiel von den Beamten getrieben. Die meisten der höchststehenden Staatsbeamten sind eifrige Spieler, als der beste Gospieler
unten ihnen wird der Vice-premier Minister Iwakura genannt. Auch in der Armee, besonders aber in
der Flotte wird viel gespielt. Die vier Goschulen
von Honimbo, lnouye, Hayashi und Yasui bestanden nach 1868 noch weiter, obgleich die staatliche
Förderung ihnen fehlte. Da führte im März 1879 Murase Shohei einen Staatsstreich aus, durch welchen die 250 Jahr alte Verfassung des Gowesens über den Haufen geworfen wurde. Er gehörte zur
Schule Inouye, war aber stärker als der damalige Inhaber der Schule, der nur vom sechsten Range
war, während er selber den siebenten Rang hatte.
Die alten Formen hatten den Sinn verloren, so dass
es keinen Zweck mehr für Murase hatte, auf eine
inhaltlos gewordene Würde zu warten, um so mehr,
da er den höchsten Ruhm, den er im Leben erreichen konnte, schon erreicht hatte, nämlich den,
der beste Gospieler des Landes zu sein. Er trat
desshalb im März 1879 aus der Schule Inouye aus
und sammelte eine Anzahl guter Spieler um sich.
Monatlich einmal treffen sie zusammen und spielen,
jeder nur eine Partie, deren Beendigung mitunter 24
Stunden ohne Unterbrechung in Anspruch nimmt.
Murase veröffentlicht sodann die Partien unter Beigabe einiger kurzer kritischer Bemerkungen.
Unter seinen Jüngern ist der bemerkenswertheste
Nakamura vom sechsten Range. Seine Spielweise
ist sehr geistreich und seine Partieen wie die von
Murase enthalten häufig Probleme von grosser
Schönheit. Er ragt besonders durch seine kühnen Angriffe hervor, während Murase in Angriff
und Vertheidigung gleich ruhig und gemässigt bleibt.
Während in Japan, zum guten Theil durch den
Eingriff des Staates, das GospieI zu so hoher Entwicklung gelangt ist, scheint es in seinem Mutterlande China jetzt in Verfall zu sein. Die japanischen
Spieler versichern, dass es in China keinen Spieler
gebe, der an Stärke einem japanischen Spieler vom
ersten Range gleichkäme. Es findet sich auch in
der chinesischen Bibliographie von Möllendorff nicht
eine Abhandlung über das Go erwähnt, während
Abhandlungen über das chinesische Schach in ziemlicher Anzahl angeführt sind. Legten die Chinesen
irgend welchen Werth auf das Spiel, so wäre sicher
auch schon darüber geschrieben worden.
(1) Herr Miyoshi, Beamter im Finanzministerium,
ein Kenner des Spiels und der chinesischen Literatur,
hatte die Güte, auf meine Bitte hin eine Geschichte
des Go zu schreiben, der die Angaben dieses Abschnittes entnommen sind.